Adressenschrein
Badisches Landesmuseum, Karlsruhe
Anlässlich des vierzigjährigen Regierungsjubiläums von Friedrich I. von Baden überreichten alle eintausendsechshundert badischen Städte und Gemeinden dem Großherzog als gemeinsames Jubiläumsgeschenk einen silbergezierten Kastenschrein. Das Innere enthält die in sechs Bänden gebundene Huldigungsadressen der Kommunen. Den Entwurf wie wohl auch das ikonographische Konzept lieferte Hermann Götz, Direktor der badischen Kunstgewerbeschule in Karlsruhe. Unter den acht ausführenden badischen Kunsthandwerkern nimmt der Bildhauer und Medailleur Rudolf Mayer eine hervorgehobene Stellung ein. Er schuf die silberne Reliefplaketten und das bronzene Bildnismedaillon des Fürsten.
Die Grundgestalt der Kassette wird von historischen Vorbildern bestimmt. So geht die Form auf Prunkbehältnisse der Renaissance zurück. Dort ist der Typus der auf diagonal gestellten Stützen ruhenden Kassette über querrechteckigem Grundriss ausgebildet, ebenso die Betonung der Ecken durch sitzende Figuren in schräger Anordnung. Die Verbindung von schwarz gebeiztem Obstholz, das Ebenholz imitiert, mit weiß-silbernen Appliken verweist speziell auf die Augsburger Goldschmiedekunst der Spätrenaissance.
Das Bildprogramm des Adressenschreins verbindet traditionelle Züge der Herrscherikonographie mit Elementen fürstlicher Repräsentation des späten 19. Jahrhunderts. Wichtig erscheint die Betonung des Wirkens Großherzog Friedrichs I. als Friedensfürst, besonders im Hinblick auf seine Förderung von Kunst und Wissenschaft und seine aktive Rolle bei der Gründung des deutschen Kaiserreichs.
Durch die eigenständige Konzeption und die individuelle Umdeutung geschichtlicher Vorbilder sowie durch seine bemerkenswerte Ikonographie zählt der Adressenschrein zu den Hauptwerken des deutschen Späthistorismus. Der klare architektonische Aufbau, der hohe bildhauerische Rang der Silberfiguren sowie die virtuose Ausführung des flachen Reliefs kennzeichnen die herausragende künstlerische Qualität der Prunkkassette.
Lorenz Seelig
Abbildung: ©Badisches Landesmuseum, Karlsruhe / Fotograf: Thomas Goldschmidt
Adressenschrein
Karlsruhe, 1892-1894/95
Entwurf: Hermann Götz (1848-1901)
Birnenholz, schwarz gebeizt / Lindenholz, teilweise gefärbt / verschiedene Edelhölzer / getriebenes, gegossenes, ziseliertes und graviertes Silber
100 cm hoch, 94cm breit, 78 cm tief
Badisches Landesmuseum Karlsruhe