Alessandro Magnasco, Studienblatt mit drei Figurenpaaren 1725
Staatliche Graphische Sammlung, München
Seit seiner Wiederentdeckung zu Beginn des 20. Jahrhunderts avancierte Alessandro Magnasco zu einem der meistgeschätzten italienischen Künstler des 18. Jahrhunderts. Seine erregte Pinselschrift und Vorliebe für das Visionäre kommen moderner Ästhetik weit entgegen. 1667 in Genua geboren, ging Magnasco bereits 1677 nach Mailand, wo er weitere Ausbildung genoss und zunächst als Porträtmaler arbeitete. Bald gab er diese Bildgattung zugunsten der Staffagemalerei in Landschaften und Ruinenbildern auf und gelangte in diesem Fach zu großem Ruhm.
Das Studienblatt mit den drei Figurenpaaren zeigt Magnasco auf seinem bevorzugten Betätigungsfeld als Zeichner. In Arbeiten wie dieser schuf er eine Art „Lexikon“ verschiedenster Körperstellungen. Hierin Antoine Watteau verwandt, unterscheiden sich seine Figuren von dem Franzosen dadurch, dass er den Stoff meist ins Rätselhafte oder Erschütternde wendet. Ein Beispiel bieten die Fischer oben links. Das Ziehen des Netzes pointiert Magnasco zu einer Strapaze, die die Menschen in Automaten zu verwandeln scheint. Welche Dramatik in dieser Formel steckt, zeigen Magnascos Gemälde fast als „stehende Wendung“: Folterknechte, die einen Gefangenen am Seil hinauf ins Kerkergewölbe hieven oder brutale Schergen, die die Gedärme aus dem geöffneten Bauch des heiligen Erasmus ziehen.
Es ist charakteristisch für Magnasco, dass er die Macchietten der Zeichnungen nie direkt in den Bildern übernahm, denn seine „Studien“ sind mehr als nur Vorarbeit. Dies verdeutlicht das neu erworbene Blatt in aller Klarheit. Zwar ohne inhaltlichen Bezug, sind die drei Figurenpaare doch mit Bedacht komponiert und auf das Blatt gesetzt. Oberhalb der Schäfer, die – wiederum bezeichnend – alles andere als eine „Schäferszene“ bilden, spannen sich die Linien der Taue schräg hinab zu den Jägern mit Hund und Baum; darüber gelangt das Abstraktum der leeren Fläche zu suggestiver Wirkung. Das ist im besten Sinn modern und erweist, wie Magnasco die Zeichnung in die Autonomie, und die Kunst – jenseits aller Bedeutungsfracht – zur reinen Form führt. Diese konstituiert sich hier über die auf und ab schwellende Pinsellinie, die oft aufgerissen und auf dem rauen Papier unruhig flackernd ein unverkennbares Signet seiner Kunst bildet.
Dr. Kurt Zeitler
Abbildung: