Alexander Kanoldt, Stillleben I, 1927

Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg

Alexander Kanoldt wurde 1925 an die Staatliche Akademie für Kunst und Kunstgewerbe in Breslau berufen. Im selben Jahr war er mit 15 Ölgemälden bei der legendären Mannheimer Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit“ vertreten. Zwei Jahre später entstand „Stillleben I / 1927“.
Der Titel folgt einem Nummerierungssystem und weist das Gemälde als erstes Stillleben im Jahr 1927 aus. Als eines der größten Formate im Œuvre des Künstlers stellt das Bild ein charakteristisches Beispiel der Neuen Sachlichkeit dar, das die Erfahrungen der modernen Kunst verarbeitet. Wenige alltägliche Gegenstände – eine französische Trinkschale und eine Teedose – sind darin gemeinsam mit einer Schusterpalme (Aspidistra) auf einem Hocker bühnenartig vor Stoffbahnen arrangiert. Entsprechend der Prinzipien der Neuen Sachlichkeit ist die kühl konstruierte Komposition gestochen scharf wiedergegeben und der Pinselduktus nahezu getilgt. Der vermeintliche Realismus wirkt bei genauer Betrachtung jedoch befremdlich. Es ist nicht klar, in welchem räumlichen Gefüge die Gegenstände platziert sind und was sich hinter der Draperie verbirgt. Auch die Kombination verschiedener perspektivischer Ansätze löst Verunsicherung aus.

Der jüdische Sammler Leo Smoschewer war einer der führenden Industriellen Breslaus. Er erwarb das Gemälde noch im Entstehungsjahr. Seine Feldbahn-, Lokomotiv- und Straßenwalzenfabrik wurde arisiert, kurz nachdem er im Herbst 1938 verstorben war. Elise Smoschewer, seine Frau, musste 1939 unter dem Druck der Nationalsozialisten „Stillleben I / 1927“, eine heute verschollene Olevano-Ansicht Kanoldts von 1924 und weitere Kunstwerke an das Görlitzer Museum weit unter Wert veräußern. Ohne Zugriff auf den viel zu geringen Erlös und auf das gesperrte Restvermögen nahm sie sich 1939 – bar jeglicher Zukunftsaussichten – das Leben.

„Stillleben I / 1927“ befand sich zuletzt im Saarland Museum, wo es 2017 restituiert worden war. Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie konnte das Gemälde dank der Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Kulturstiftung der Länder und der Freunde und Förderer des Kunstforums Ostdeutsche Galerie in Regensburg e.V. über den Kunsthandel von den Erben Smoschewers erwerben.

Dr. Agnes Tieze

Abbildung:
Alexander Kanoldt, Stillleben I, 1927, Öl auf Leinwand, 110,5 x 87,6 cm