Anton Graff, Porträt der Töchter des Johann Julius von Vieth und Golssenau 1773
Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe
Das Gruppenbildnis gibt die drei erwachsenen Töchter des kursächsischen Geheimen Kriegsrates und Zeremonienmeisters Johann Julius von Vieth und Golssenau wieder. Das singuläre Porträt Anton Graffs wird 1773 entstanden sein, denn Daniel Chodowiecki erwähnte das Bildnis im selben Jahr in dem Tagebuch seiner Reise nach Dresden. Es stammt somit aus dem Jahrzehnt, in dem die Schaffenskraft des jung vermählten Graff ihren Höhepunkt erreichte.
Die nur in halber Figur sichtbaren Frauen erscheinen groß und nahe gerückt in der vorderen Zone des Bildes, das die üblichen Maße Graff’scher Einzelporträts nicht überschreitet. Kühles Seitenlicht trifft auf die eng zusammengerückten Schwestern, deren modisch frisierte Köpfe vor dunklem Grund hell aufleuchten. Es scheint, dass die heiter gestimmten Frauen an ein kleines Fenster getreten seien, um sich zu zeigen. Der enge Bildausschnitt, die sorgfältige Modellierung der blühenden Inkarnate, die drei blinkenden Augenpaare, deren sprechende, beseelte Blicke den Kontakt mit dem Betrachter suchen, und die scheinbare Tastbarkeit der Kostüme und Details verleihen den Dargestellten Präsenz, Lebensnähe und Unwiderstehlichkeit. In der Mitte des Bildes erscheint die 25-jährige Sophie Juliane Elisabeth, Gräfin d’Agrollo. Gleich einem Attribut hält sie in der Linken einen Turban, den auch die links wiedergegebene, 21 Jahre alte Juliane Caroline, Edle von der Planitz, mit einer Hand erfasst. Auf der rechten Seite des Bildes ist die 19-jährige Juliane Charlotte, Gräfin von Todtleben zu sehen. Dicht an ihre Schwester gerückt, legt sie ihre Linke zutraulich auf deren Schulter und neigt ihren Kopf der Älteren zu.
Mit psychologischem Scharfblick hat Graff die Persönlichkeit jeder Schwester erkannt, sie seinem menschlichen Idealbild entsprechend wiedergegeben und dabei dem Allgemeingültigen stärkeren Ausdruck verliehen als dem Individuellen. In den Bildnissen hat er Wesenszüge der aufgeklärten Gesellschaft der Goethezeit sichtbar gemacht, zu denen Humanität, geistige Aufgeschlossenheit und beseelte Lebensfreude zählen.
Die künstlerische Meisterschaft Anton Graffs offenbart sich darüber hinaus in der ausgewogenen Komposition und der stofflich-farblichen Charakterisierung der Inkarnate, Kostüme und Accessoires. Ungewöhnlich scheint die Wiedergabe des überreichen Perlenschmuckes, den die drei Damen angelegt haben. Dieses modische Detail, der Turban und das gestreifte Seidenkleid der ältesten Schwester verleihen dem Bildnis eine exotische Note, die sonst nur Porträts von Schauspielerinnen oder „à la turque“ gekleideter Damen auszeichnet. Von daher mag die Vermutung berechtigt sein, das Gemälde sei in Erinnerung an ein Fest, vielleicht einen Maskenball, entstanden.
Prof. Dr. Klaus Schrenk
Abbildung: