Claude Lorrain, Landschaft mit Wasserfall und Jägern, um 1630/35

Kunsthaus Zürich

Jugendwerke großer Künstler haben oft einen eigenen Charme. Was ihnen an reiner Ausprägung des Stils noch fehlt, wird oft durch die Frische der Beobachtung, die Sorgfalt der Ausführung und eine experimentelle Neugier ausgeglichen. Dies strahlt auch die „Landschaft mit Wasserfall und Jägern“ aus. Es lässt wie kaum ein anderes Gemälde Lorrains die Anfänge seiner Kunst in der Tradition der niederländisch-italianisierenden Landschaftsmalerei und zugleich seine auf jene zurückwirkenden neuen Beobachtungen und Gestaltungsmittel erkennen.

Die diagonale Kontrastierung eines Wasserfalls im schattigen Waldabhang mit einem hellen Ausblick in eine weite Flussebene erinnert an Kompositionen Paul Brils, des Hauptmeisters der Landschaftsmalerei in Rom um 1600. Doch die Differenzierung in der Beobachtung von Pflanzenwuchs und Erdreich lässt dessen Schematismus weit hinter sich. Die liebevolle Ausarbeitung von Baum- und Buschwerk über dem Felsbogen oder das reizvolle Spiel von Gestein, Vegetation und sprudelndem Wasserfall findet sich auch kaum mehr in Lorrains eigenen reifen Werken. Diese Differenzierung aber interessierte die nachfolgende Generation holländischer Maler, wie z.B. Jan Both. Vor allem aber faszinierte sie Lorrains neue Unmittelbarkeit und seine Kunst, das Tageslicht und die atmosphärische Einheit des Raumes zu erfassen. - Errungenschaften, die alsbald zu den wesentlichen Merkmalen ihrer Malerei wurden.

Wie die Sonnenstrahlen den taufrischen Wiesengrund aufleuchten lassen und morgendlich silbernes Licht den Dunst über den fernen Hügeln durchdringt, bezaubert noch heute. Die Klarheit ohne Härte, mit der Lorrain einen solchen Ausblick bis in die äußerste Ferne zu erfüllen vermag, blieb für mehr als zwei Jahrhunderte vorbildlich und unerreicht. Die Staffage zeigt noch ganz in niederländischer Manier eine kleine Jagdgesellschaft in zeitgenössischer Tracht, doch in ihrer individuellen Ausprägung und der sprechenden Gruppierung zeigt sich schon das poetisch erzählerische Talent der späteren mythologischen Szenen Lorrains. In der Felsbrücke - dem „arco naturale“ - wird die Natur selbst zum Baumeister; in dem umgestürzten, absterbenden Baum im Vordergrund, der dem Jägerburschen als Steg über den aus dem Bild fließenden Bach dient, variiert Claude Lorrain das den Einklang von Mensch und Natur bezeugende Motiv.

Konrad Renger

Abbildung:

Claude Gellé, genannt Claude Lorrain (1600-1682), Landschaft mit Wasserfall und Jägern, um 1630/35
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