Das "Worpsweder Bauernkind" trifft auf seine große Schwester: Paul Sérusiers "Bretonisches Mädchen - Marie Francisaille", um 1896, gefördert

Kunsthalle Bremen

Die Kunsthalle Bremen besitzt eine bedeutende Sammlung von Gemälden der 1888 gegründeten Künstlergruppe Nabis. Die meisten ihrer Mitglieder wie Pierre Bonnard, Maurice Denis oder Edouard Vuillard sind mit charakteristischen Werken in der Galerie vertreten. Nur von Paul Sérusier, dem Gründer und geistigem Haupt der Gruppe, fehlte bisher ein Bild. Durch den Ankauf des Gemäldes Bretonisches Mädchen – Marie Francisaille konnte diese Lücke nun geschlossen werden. Es ist die zweite Fassung eines Werkes im gleichen Format, das sich heute im Musée d’Orsay in Paris befindet. Der Künstler schuf es, bevor er die erste Version an Misia Nathanson verkaufte, und behielt das Bild bis zu seinem Tod in seinem Atelier. Das 1896 entstandene Gemälde stammt aus Sérusiers bester Schaffensphase. Schwarze Konturen rahmen die Formen – es ist das dunkle Cloisonné, das Sérusier ab 1888 bei Paul Gauguin und Emile Bernard kennenlernte. Die reduzierte Palette und die flächige Malweise zeigen jedoch, dass er sich vom Vorbild Gauguins emanzipiert hat. Mit dem Bretonischen Mädchen erweist er sich als das Bindeglied zwischen Gauguin und den Künstlern der sogenannten Schule von Pont-Aven und den Nabis. Obwohl Sérusier anfänglich nach einem Modell arbeitete, ging es ihm nicht darum, ein Porträt zu schaffen. Vielmehr suchte er nach exemplarischen Menschtypen, die Einfachheit und Religiosität verkörpern und damit einen Kontrast zu den modernen Großstädtern bilden. Dieses Ideal, das Gauguin später in der Südsee zu finden hoffte, sah Sérusier in den Menschen – insbesondere den Kindern – der Bretagne. Ähnliche Motive suchte auch die Bremer Künstlerin Paula Modersohn-Becker, die sich bei ihren Parisreisen von Gauguin und den Nabis inspirieren ließ. Ihr Worpsweder Bauernkind auf einem Stuhl sitzend von 1905 ist in Komposition und Ausdruck eng mit dem Bretonischen Mädchen verwandt. So wird durch Sérusiers Bretonisches Bauernkind nicht nur die Bremer Nabis- Abteilung ergänzt, sondern auch ein Bogen zur Sammlung der deutschen Malerei des frühen 20. Jahrhunderts geschlagen.

Dorothee Hansen

 

Abbildung:

Paul Sérusier, Bretonisches Mädchen - Marie Francisaille, 1896, Öl auf Leinwand, 90 cm x 54 cm © Kunsthalle Bremen