Der junge Routy (H. Toulouse-Lautrec)

Neue Pinakothek, Bayerische Staatsgemäldesammlungen

Toulouse-Lautrec verbrachte von Kindheit an die Ferien häufig auf Schloss Céleyran bei Narbonne, das seiner Großmutter Louise Tapié de Céleyran gehörte. Hier entstanden zahlreiche Bilder der Landschaft, des Besitzes und – ab 1880 – der dort lebenden Menschen.

Es ist anzunehmen, dass der Künstler den etwa gleichaltrigen Routy bereits länger kannte, bevor er sich 1883 oder 1884 in einer ganzen Reihe von Werken dessen Bildnis widmete. Zumeist handelt es sich um Kohlestudien, die in der Naturtreue wie in der beherrschten Manier der Zeichnungen die Lehre Léon Bonnats (1833-1922) verraten, in dessen Atelier der Siebzehnjährige im März 1882 eingetreten war. Das Münchner Gemälde ist das reife Ergebnis der ganzen Serie.

Toulouse-Lautrec hat den Jungen am Boden oder nahe dem Boden sitzend wiedergegeben, hinter sich eine Bank und durchsonnte Vegetation. Charakteristisch ist die sehr helle Malerei in direkter und indirekter Beleuchtung, die durch weitgehend skizzenhaften Pinselduktus einen stark atmosphärischen Charakter erhält. SO erscheint der Junge eingebunden in das warme Sonnenlicht der freien Natur, das sich in seinem Gesicht reflektiert und den Kontrast zwischen warmen und kühlen Tönen verstärkt, der das Bild bestimmt. In einem harten Widerspruch steht hierzu der grüblerisch-dumpfe Gesichtsausdruck des Jungen, eine Charakterisierung, die als Endpunkt und Summe einer Serie von zwölf Vorstudien zu erachten ist. Die Kunst Edouard Manets (1832-1883), der sich der junge Maler hier noch völlig anschließt, könnte in diesem Falle eine Verhaltenheit in der Menschendarstellung bewirkt haben, wie sie dem späteren zum Karikaturistischen neigenden Toulouse-Lautrec nicht mehr selbstverständlich war.

Christian Lenz

Abbildung: ©Neue Pinakothek München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen
Henri de Toulouse-Lautrec (1862-1901)
Der junge Routy auf Céleyran, um 1883 (?)
Öl / Leinwand, 61 x 49,8 cm
Neue Pinakothek München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen