Der schwarze Dämon
Staatliches Museum für Völkerkunde, München
In der Nachfolge safawidischer Hofteppiche mit Jagdszenen entstand im Iran seit dem 19. Jahrhundert eine besondere Kategorie der Knüpfkunst, die sich durch figürliche Bildinhalte auszeichnet. Diese Bildteppiche zeigen im Mittelfeld Darstellungen von Sufis und Derwischen, Poeten, Herrschern, Helden und Dämonen sowie Szenen aus der Liebesdichtung und aus dem Koran. Sie sind sowohl der Volkskunst als auch dem höfischen Bereich und dem Milieu der Mystiker zuzuordnen.
Außergewöhnlich und schwer zu deuten ist der hochformatige Bildteppich, in dessen Mitte ein schwarzer Dämon (diw) siegessicher und hochaufgerichtet auf einem Berggipfel steht. Der geflügelte Dämon, an dessen Schwanz sich ein kleiner Geist oder Affe festklammert, hält ein blaues Pferd am Zügel. Als wollte sie diesen diw anbeten, hebt eine rote Ziege ihre Vorderläufe. Bei dem Dämon könnte es sich um die Darstellung eines Satans (iblis, shaitan) handeln; darüber ein buntgefiederter Adler, der ein Lamm durch die Luft trägt, daneben zwei Geister (jinn); in der unteren Bildhälfte ein blauer Löwe, der einen Hirsch tötet. Im Kontext dieser ungewöhnlichen Bildsprache sind bei einigen Zauberwesen die Körper nur angeschnitten. Am oberen Bildrand etwa sind nur die vorgestreckten Pranken eines Löwen zu sehen, der sich vom Himmel herunterstürzt.
Möglicherweise wurde dieses so phantasiereich und rätselhaft komponierte Bild von jemandem geknüpft, der Beziehungen zu bestimmten religiösen Sondergruppen (Yezidi, Ahl-i haqq) hatte, die bis heute im Vorderen Orient verbreitet sind. In diesen häretischen Sekten spielen „Wesen des Feuers und der Finsternis“, besonders die Gestalt des auf Gottes Geheiß handelnden Satans, eine wichtige Rolle. Es könnte jedoch auch sein, dass der Teppich im Rahmen des islamisch-iranischen Volksglaubens in den Bereich der Schwarzen Magie gehört.
Jürgen Wasim Frembgen
Abbildung: