Dessauer Silberbecher, spätes 17. Jahrhundert
Museum für Stadtgeschichte, Dessau
Werke aus Dessauer Goldschmiedewerkstätten sind in öffentlichen Sammlungen außerordentlich selten. Obwohl der Dessauer Hof zu den Kunden gezählt haben wird, war die Produktion sicher nicht sehr umfangreich. Bereits im 18. und frühen 19. Jahrhundert wurden durch Einschmelzen, vor allem zur Zahlung von Kontributionen, zahlreiche Dessauer Silberobjekte aus dem Schlossinventar vernichtet. Der größte Verlust aber betraf den Dessauer Silberschatz, der durch Erbschaft aus der 1863 ausgestorbenen Bernburger Herrscherlinie nach Dessau gelangte und am Ende des Zweiten Weltkrieges als Verlust gilt. Daher ist der Erwerb des Dessauer Silber-Deckelbechers für das Museum für Stadtgeschichte Dessau von großer Bedeutung, da auf diesem Weg ein Kernstück dieses Handwerkszweiges an seinen Entstehungsort zurückkehrt.
Um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert entstanden, zeigt das aufwendig gestaltete Dekor des zu Repräsentationszwecken hergestellten Prunkbechers die Lieblingsbeschäftigung des Adels – die Jagd. Vor der Kulisse eines Waldes finden sich drei Tierkampfszenen in einem umlaufenden Fries: Ein gefleckter Leopard, der auf dem Rücken eines niedergebrochenen Hirsches hockt, verbeißt sich in dessen rechte Geweihstange; ein Löwe schlägt einen Eber; ein Panther (oder ein Bär?) kämpft mit einem Stier. Der Boden des Waldes scheint aus durchbrochenem Astgeflecht mit weinlaubartigen Blättern zu bestehen, das – in stark ornamentaler Bildung – von der Mitte des Becherbodens ausgeht.
Der Deckelbecher war sicher für die Silberkammer eines Fürstenhofes bestimmt – sei es, dass er direkt von einem fürstlichen Auftraggeber bestellt wurde, sei es, dass er als Präsent für einen fürstlichen Empfänger bestimmt war. So liegt die Annahme nahe, dass der von dem Dessauer Goldschmied ICG gefertigte Becher einem Fürsten des Hauses Anhalt gehörte und als Widmungsgeschenk zugedacht war. Dass dieser nicht für den Dessauer Hof gefertigt wurde, dafür spricht die Tatsache, dass uns der sich auf dem Deckel zeigende Löwe nicht in der anhaltischen Heraldik begegnet. Dagegen wird der Dessauer Deckelbecher für den Repräsentanten eines Hauses mit dem Löwen als Wappentier bestimmt gewesen sein.
Der von der Galerie Neuse angebotene Prunkbecher kann als ein Hauptwerk der Dessauer Goldschmiedekunst des Spätbarock gelten.
Günter Ziegler