Eileen Gray, „S“-Sessel, 1932-1934
Neue Sammlung, Staatliches Museum für angewandte Kunst, München
Die irische Architektin und Designerin Eileen Gray gehörte zu den herausragenden Persönlichkeiten der internationalen Moderne. Obwohl nur wenige Werke von Eileen Gray erhalten sind, reflektieren diese ein außerordentliches künstlerisches Potential. Standen am Anfang ihres Schaffens exquisite kunsthandwerkliche Objekte, so sollte sie später der rigorose Funktionalismus ihrer Möbel und Bauten an die Spitze der Avantgardebewegung führen.
Bau und Ausstattung ihres eigenen, 1932-34 erbauten Hauses „Tempe à Pailla” bei Menton in Südfrankreich stellen zweifellos einen bedeutenden Höhepunkt ihres Wirkens als Architektin und Designerin dar. Unter den Möbelentwürfen für „Tempe à Pailla“ ragt der so genannte S-Chair, der als zusammenklappbarer Terrassenstuhl konzipiert war, exemplarisch heraus.
Die eigenwillige Konstruktion dieses Sitzmöbels geht weit über die bloße Funktion eines Gartenmöbels hinaus: Der allein durch die Materialwahl sehr leichte Stuhl lässt sich auf die Hälfte seiner ursprünglichen Größe zusammenklappen und so bequem verstauen. Zugleich suggeriert er die Herkunft aus dem technischen Bereich. Auffälligstes Merkmal des S-förmig geschwungenen Holzrahmens sind die einzelnen Durchbrechungen, die nicht nur zur realen Gewichtsminimierung beitragen - eine Methode, die auch im Flugzeugbau Anwendung fand - sondern auch zum Eindruck optischer Leichtigkeit. Die weiße Lackierung unterstreicht die technische Ästhetik dieses Stuhls, der eine Alternative zu vorhandenen Serienmöbeln darstellen sollte, aber wie fast alle Entwürfe Eileen Grays über den Status des Prototyps nicht hinauskam.
In Serie gingen einige ihrer Entwürfe erst in den siebziger Jahren als Re-Editionen, deren großer Erfolg unsere Vorstellung vom Werk Eileen Grays entscheidend geprägt hat. Es ist daher ein Glücksfall, knapp ein Vierteljahrhundert nach dem Tod der Entwerferin eines ihrer äußerst seltenen Originalmöbel noch erwerben zu können. Dessen ungeachtet handelt es sich bei dem „S-Chair“ um eines der ungewöhnlichsten Möbel des 20. Jahrhunderts, das die Idee des Funktionalismus mit der Ästhetik der Moderne in geradezu genialer Weise verbindet.
Florian Hufnagl
Abbildung: