Ein Schlüsselwerk des Schönen Stils. Thronende Mutter Gottes (Schöne Madonna), um 1390
Staatliche Museen zu Berlin, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst
Die für die Berliner Skulpturensammlung erworbene Thronende Muttergottes gehört zu den Schlüsselwerken des Schönen Stils, eine Kunstform, die sich im späten 14. Jahrhundert in Prag entwickelte. Gleichzeitig gewichtig und graziös nimmt die Figur den sie umgebenden Raum selbstbewusst ein.
Ihr Mantel scheint aus einem dicken Stoff wie Wolle gemacht zu sein, der sich nicht in winkelförmigen Falten bricht, sondern ein kalligrafisches Spiel von übereinstimmenden Kurven schafft. Die komplexe Komposition, die Fülle gegen Leere und Höhen gegen Mulden kontrastieren lässt, erfordert die Beweglichkeit des Betrachters. Jede Ansicht wird mit der Entdeckung eines ausgewogenen Gesamteindrucks belohnt. Wiederholt hat hier der Künstler die Beschränkungen seines Materials zu überschreiten versucht, indem er spröde Faltenkaskaden neben tief ausgehöhlte Täler gesetzt hat. Stein scheint sich zu verwandeln, und die Virtuosität in der Faltenbehandlung ist von einem Niveau, das man eher von einer modellierten statt einer gemeißelten Arbeit erwarten würde. Auch die detaillierte Wiedergabe des Pelzfutters am Kopfschleier, gegenüber dem sich das versonnene Gesicht von Maria abzeichnet, zeugt von der herausragenden Qualität der Ausführung. Der Stein wurde als „Oberer Schwammkalk“ aus dem Altmühltal identifiziert. Die Skulptur ist also eines der seltenen Hauptwerke im Schönen Stil, das erwiesenermaßen in Deutschland geschaffen wurde.
Für die Berliner Skulpturensammlung ist diese Erwerbung von außerordentlichen Bedeutung: Seit der Zerstörung der Pietà von Baden im Jahr 1945 war der Schöne Stil in Berlin nicht mehr mit einem Hauptwerk vertreten. Nun steht die Thronende Muttergottes in unmittelbarer Nähe zu den Fragmenten der Badener Pietà und erweist sich als ein missing link, das ein neues Verständnis der Entwicklung der deutschen Skulptur ermöglichen wird.
Julien Chapuis