Erwerbung einer Rarität humanistischer Architekturtheorie: Sebastiano Serlio, Cinque libri d'Architettura, 1551
Zentralinstitut für Kunstgeschichte München
Bei diesem Exemplar der 1551 in Venedig publizierten Gesamtausgabe von Sebastiano Serlios Cinque libri d’architettura handelt es sich um eines der ganz wenigen eigenhändig in italienischer Sprache annotierten Bücher aus dem Besitz des für seine breite Gelehrsamkeit bekannten Palladio-Nachfolgers Vincenzo Scamozzi (1548–1616). Das in einem wohl aus dem 18. Jahrhundert stammenden Pergamenteinband vorliegende Exemplar ist einem nur notdürftig getilgten handschriftlichen Exlibris zufolge danach im Besitz des französischen Malers Charles-Alphonse Dufresnoy (1611–1668) gewesen, der 1634–1654 in Italien weilte und es von dort nach Frankreich mitgebracht haben könnte. Die Annotationen (sogenannte Postillen) Scamozzis können nach Hubertus Günther um 1579 datiert werden und stehen somit in zeitlicher Nähe sowohl zu Scamozzis Discorsi sopra l’antichità di Roma (1582) als auch zu dem auf Vorarbeiten seines Vaters Giandomenico Scamozzi aufbauenden, erstmals der Serlio-Ausgabe Venedig 1584 beigegebenen Indice copiosissimo. Die in brauner Tinte geschriebenen Anmerkungen konzentrieren sich im dritten, vorwiegend der antiken Architektur gewidmeten Buch; einige befinden sich auch im vierten Buch, das die Säulenordnungen behandelt. Es handelt sich einerseits um in kleiner Kursivschrift verfasste Marginalien mit Textkommentaren, andererseits um eher kalligraphisch geschriebene Zusätze, meist zu den Tafeln, namentlich Maßstäbe und Maßangaben. Bei einer späteren Beschneidung des Buchblocks samt Einband wurden die über den Rand hinausgehenden Marginalien und Tafelpartien mit wenigen Ausnahmen bewahrt und umgeklappt, so dass sie nun teils wie angesetzte Zusatzzettel wirken. Einige Randnotizen scheinen von einer zweiten Hand zu stammen. Die Leihgabe des von der Ernst von Siemens Kunststiftung erworbenen Werks bereichert die umfangreiche Sammlung des Zentralinstituts an Architekturtraktaten, die u. a. auch die Vitruv-Sammlung aus der Bibliothek Bodo Ebhardt umfasst. Das Buch stellt eine bislang offensichtlich unbekannt gebliebene kunsthistorische Quelle ersten Ranges dar und vermittelt einen direkten Einblick in die Arbeitsweise und das Denken eines humanistischen Architekten und Architekturtheoretikers. Das Zentralinstitut für Kunstgeschichte wird die Postillen Scamozzis digitalisieren und online der Forschung zur Verfügung stellen, um das Original weitgehend zu schonen.
Dr. Rüdiger Hoyer
Abbildung:
Sebastiano Serlio, Cinque libri d'Architettura, 1551 © Zentralinstitut für Kunstgeschichte München