Familiengruppe
Staatliche Sammlung Ägyptischer Kunst, München
Die ägyptische Gesellschaft ist geprägt von der Gleichwertigkeit der Geschlechter; zur Vollständigkeit des menschlichen Daseins gehörte die komplementäre Ergänzung durch das jeweils andere Geschlecht. Sinn und Erfüllung der ehelichen Gemeinschaft lagen in den Nach-kommen, die nicht nur durch den Vollzug des Totenkultes zur Sicherung der jenseitigen Existenz beitrugen, sondern durch die Kontinuität der Generationen auch auf Erden Unsterblichkeit gewährleisteten.
So nimmt in der Ausstattung des ägyptischen Grabes die Darstellung der Familie in verschiedenen Situationen des Alltagslebens eine zentrale Stellung in den Reliefs und Malereien ein; in der Grabplastik jedoch ist die Wiedergabe der Personen aller Diesseitigkeit enthoben. Das Ehepaar thront, wie zum Familienphoto, auf einer gemeinsamen Bank; die kleinteilige Löckchenperücke des Mannes, das enganliegende Gewand der Frau und ihre akkurate Strähnenperücke, unter der - Zugeständnis an die Mode der Zeit - ihre eigenen Haare auf der Stirn hervor-schauen, die breiten Schmuckkrägen, die ehemals aufgemalt waren: Meretites und ihr Mann Sabu, ein „Vorsteher der Balsamierer", sind in ihrem Festtagsgewand dar-gestellt. Zwischen den Eltern sind noch Füße und Unterschenkel einer kleinen Figur erhalten, die ihren Sohn Iseb-der-Kleine darstellte. Wie an der hölzernen Basis und einem Holzdübel abzulesen ist, wurde diese Statuette nachträglich der Gruppe der Eltern eingefügt - vielleicht ein spätgeborener Sohn?
Gemäß der Rollenverteilung der Geschlechter ist der Mann, außer Haus tätig, mit brauner Hautfarbe, die Frau, für den häuslichen Bereich zuständig, mit heller Hautfarbe dargestellt. Im Motiv der Umarmung, die Meretites als die aktivere erscheinen läßt, wird ihre dominante Position im Kreis der Familie als „Herrin des Hauses" dar-gestellt. In der fast unmerklichen Drehung ihres Körpers und der leichten Neigung ihres Kopfes ist die Zuwendung zu ihrem Mann Sabu für die Ewigkeit festgehalten.
Sylvia Schoske
Abbildung: Familiengruppe Ägypten, Fundort unbekannt Altes Reich, 5. Dynastie, um 2400 v. Chr. , Kalkstein, bemalt; H. 56 cm, © Staatliche Sammlung Ägyptischer Kunst, München