Florale Pracht: Elf Scherenschnitte Runges für das Dresdener Kupferstich-Kabinett

Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

1806 übersandte Otto Philipp Runge (1777–1810) eine größere Gruppe von Blumen-Scherenschnitten an Johann Wolfgang von Goethe, als Dekoration von dessen Musikzimmer. Von dieser heute nicht mehr erhaltenen Werkgruppe, geben die elf Scherenschnitten eine Vorstellung, die aktuell für das Dresdner Kupferstich-Kabinett erworben wurden, ein Ankauf, der nur mit Hilfe der großzügigen Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung im Verbund mit der HERMANN REEMTSMA-STIFTUNG, der Rudolf-August Oetker-Stiftung, den Freunden des Kupferstich-Kabinetts Dresden e.V., sowie Eigenmitteln und weiteren Spenden gelingen konnte.
Schon als Kind wurde Runge durch seine ältere Schwester Maria Elisabeth in die Kunst des Scherenschnitts eingeführt, die er mit bewundernswerter Virtuosität beherrschen lernte und sein ganzes Künstlerleben hindurch praktizierte. In Briefen beschreibt er später, wie er sich manchmal gewünscht hatte, die Arbeit mit Stift und Pinsel würde ihm ebenso leicht von der Hand gehen.
Märchenszenen, Porträtsilhouetten und vor allem Blumen- und Pflanzenschnitte aus weißem Papier entstanden in Mußestunden gleichsam beiläufig nebenher. Runge verschenkte die kleinen Werke im Kreis seiner Freunde und so kam das Konvolut, aus dem die aktuell erworbenen Arbeiten stammen, an den eng befreundeten zeitweiligen Kompagnon von Philipp Ottos Bruder Daniel, Johann Michael Speckter. Sie wurden in einem Zweig der Familie vererbt, der die Blätter bis zur aktuellen Versteigerung zusammenhielt. Anders als die meisten anderen von Runges erhaltenen Scherenschnitten wurden diese Blätter nicht auf Karton geklebt, sondern lose aufbewahrt. Ohne Verklebung befestigt entfaltet das Papier seine eigene zarte Beweglichkeit, und seine plastische Qualität kommt wunderbar zum Ausdruck.
Blumen stehen im Zentrum des Bilddenkens von Runge. Der Künstler folgt ihrem Umriss und abstrahiert sie zu einer hellen Fläche. So erfasst er bedeutungsvoll die Dimensionen von Werden, Wachsen und Vergehen. Blumen bilden zugleich die Grundbausteine von Runges Arabesken. Aus ihrer Gestalt und Symbolik heraus entwickelt er während seiner Dresdner Zeit zwischen 1801 und 1804 mit seinem grafischen Zyklus der „Zeiten“ den Ausgangspunkt seines projektierten malerischen Hauptwerkes einer von Musik, Dichtung und Malerei durchfluteten Architektur.

Petra Kuhlmann-Hodick

Abbildungen
1 Philipp Otto Runge: Veilchen Scherenschnitt, weißes Bütten, 9,8 x 25,3 cm
2 Philipp Otto Runge: Haselwurz Scherenschnitt, weißes Bütten, 9,7 x 25,1 cm
3 Philipp Otto Runge: Tulpe Scherenschnitt, weißes Bütten, 24,3 x 10,5 cm
4 Philipp Otto Runge: Hopfen Scherenschnitt, weißes Bütten, 24,7 x 10,6 cm
5 Philipp Otto Runge: Eichenzweig Scherenschnitt, weißes Bütten, 25 x 11,7 cm
6 Philipp Otto Runge: Scharfer Hahnenfuß Scherenschnitt, weißes Bütten, 10,8 x 26,2 cm
7 Philipp Otto Runge: Mohnblume Scherenschnitt, weißes Bütten, 25 x 9,8 cm
8 Philipp Otto Runge: Narzisse Scherenschnitt, weißes Bütten, 25,3 x 11,5 cm
9 Philipp Otto Runge: Maiglöckchen Scherenschnitt, weißes Bütten, 25,5 x 9,3 cm
10 Philipp Otto Runge: Rosenzweig Scherenschnitt, weißes Bütten, 10,8 x 25,5 cm
11 Philipp Otto Runge: Johannisbeere Scherenschnitt, weißes Bütten, 25,9 x 10,5 cm
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