Gabriele Münters Dorf mit grauer Wolke (auch: Bäumende Wolke über der Burg), 1939
Schloßmuseum Murnau
Das am 24. April 1939 in Murnau entstandene Gemälde zeigt den Blick von Gabriele Münters Wohnhaus an der Kottmüllerallee auf das Schlossgebäude, in dem sich heute das Schloßmuseum Murnau befindet. Es handelt sich hierbei um eine Arbeit, in der sie an ihren früheren Malstil der ersten Murnauer Zeit (zwischen 1908 und 1914) anknüpft. Der Blick des Betrachters wird durch die graue Straße über Wiesen, den roten Tennisplatz und die Häuserdächer direkt auf das Schlossgebäude gelenkt. Die St. Nikolauskirche – ein häufiges Motiv von Gabriele Münter und Wassily Kandinsky – ließ Münter weg. Es ist die titelgebende „graue“ Wolke, die dem Gemälde seine Bedeutung verleiht. Hoch aufgebäumt und von der im Westen stehenden Sonne beleuchtet, türmt sich eine Gewitterwolke auf und hat die Schlossfassade bereits zu einem Drittel verschattet.
Vier Tage nach Hitlers 50. Geburtstag, an dem in ganz Deutschland große Paraden abgehalten worden waren, und nur wenige Monate vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs malte Münter ein sehr markantes Gemälde, in dem sie zeigt, dass der Nationalsozialismus inzwischen auch die ländliche Idylle erreicht hat. Nach den Murnauer Malwochen 1908, die 1909 zur Gründung der Neuen Künstlervereinigung München und 1912 zum Almanach Der Blaue Reiter führten, war der Ausbruch des Ersten Weltkriegs für Münter und Kandinsky bereits Anfang August 1914 Anlass gewesen, Deutschland zu verlassen. Münter sah 1939 ihren Wohnsitz ein zweites Mal bedroht, und das mag auch der Grund dafür gewesen sein, dass sie dezidiert auf ihren frühen Stil der schwarzen Umrisslinien zurückgriff. Wie wichtig ihr dieses Motiv war, zeigt die Existenz von zwei weiteren Fassungen. Eine Variante ist nur einen Tag darauf entstanden, die dritte Fassung „Bäumende Wolke – Tennisplatz“ malte Gabriele Münter Ende Mai 1939.
Das Gemälde mit der Nachlassnummer L 150 ist gut dokumentiert. In ihr Arbeitsheft (Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München) notierte Münter neben dem genauen Entstehungsdatum auch die Verwendung der Malmittel Feigenmilch und Terpentin sowie eine Vorzeichnung. Das Gemälde findet ebenfalls in dem Schriftwechsel mit Gabriele Münters ehemaligen Hausmädchen Gerta Burkhardt Erwähnung. Als sich Münter im Juni 1939 auf einen Aufenthalt auf Schloss Elmau vorbereitet, erwägt sie die Mitnahme dieses Bildes: „Murnau, 5.VI.39 [...] Wenn Sie die „bäumende Wolke“ jetzt nicht wollen, so wäre ich Ihnen dankbar, sie gleich – (fest in Pappe verpackt, damit keine Ecken geknickt werden) – zu bekommen. Es ist eine von den Arbeiten, die ich jetzt gern mitnehme in die Elmau [...]“.
Dr. Sandra Uhrig
Abbildung:
Ausschnitt des Gemäldes Dorf mit grauer Wolke (auch: Bäumende Wolke über der Burg), 1939
Öl auf Karton
47,5 cm x 33,5 cm
© Schlossmuseum Murnau