Gedenkkopf eines Herrschers (Oba)
GRASSI Museum für Völkerkunde, Leipzig
Die Benin-Sammlung H. Meyer zeichnet sich durch einen repräsentativen Bestand der wichtigsten Objektkategorien der Benin-Gelbgusskunst aus, der zudem im Bereich der Gedenkköpfe Arbeiten aus den Hauptstilepochen aufweist.
Der erworbene Gedenkkopf entstand in der Späten Periode der Benin-Kunst. Der dargestellte Herrscher trägt eine Korallenperlenkappe mit am Gesicht herunterhängenden Perlensträngen, die an der Plinthe der Kopfplastik kugelförmig enden. Auf der Stirn befinden sich links und rechts je drei Skarifikationen sowie breite keloide Narbenverzierungen. Die großen ellipsenförmigen Augen haben eine Iris aus Eisen. Der hohe Perlenkragen reicht über das Kinn bis dicht unter die Lippen, wie es für die Darstellungen der Späten Periode typisch ist und Mitgliedern der königlichen Familie sowie höchsten Würdenträgern vorbehalten war. Die Plinthe ist mit einem Flechtornament verziert, das wichtige Symbole der physischen und metaphysischen Kräfte des gottköniglichen Herrschers in Hochrelief aufweist. In der Schädelfläche des Gedenkkopfs ist - zur Aufnahme von beschnitzten Elefantenstoßzähnen - ein kreisrundes Loch gearbeitet.
Der Kopf ist in der in Westafrika weit verbreiteten Gelbgusstechnik in der „verlorenen Form“ hergestellt, die durch die Meister der Gelbgießerzunft in Benin ihre höchste Vollendung fand. Jedes Stück ist ein Unikat, da die Gussform nur einmal verwendet werden konnte. Die nicht rostende Bronze symbolisierte für die Edo Dauer und Schutz. Die Kopfplastiken wurden ständig poliert. Ihr strahlender Glanz und die rötliche Oberfläche sollten vor Bösem schützen. Von dem Eisen, das für die Iris und die senkrecht in die Stirn eingelegten Streifen verwendet wurde, glaubte man, dass seine Kräfte den Oba-Gedenkkopf „stärkten“ und seinem Blick Ausdauer verliehen.
Diese Gedenkköpfe stand mit aufgedeckten Elfantenstoßzähnen auf den königlichen Ahnenaltären. In ihnen manifestierten sich beim bedeutendsten Ritual des Gottkönigtums, in dem der König seine Ahnen verehrte, deren „Seelen“. Da die teilnehmenden Häuptlinge des Landes ihn in der Rolle als Thronfolger bestätigten, wurde durch dieses Ritual die Kontinuität des göttlichen Königtums gefestigt.
Christine Seige
Abbildung: GRASSI Museum für Völkerkunde, Leipzig, ©Bildarchiv der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
Gedenkkopf eines Herrschers (Oba)
Benin-Reich, Westafrika, Spätes 18. Jahrhundert
Gelbguss, Höhe: 30cm (Durchmesser mit Plinthe: 25,5 cm)
GRASSI Museum für Völkerkunde Leipzig