Herausragende Zeichnung aus dem Frühwerk des Art brut Meisters Adolf Wölfli
Museum Sammlung Prinzhorn, Heidelberg
Mit Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung gelang es dem Museum Sammlung Prinzhorn, eine frühe große Zeichnung von Adolf Wölfli zu erwerben. Das Blatt, dort seit 2004 als Leihgabe der Potsdamer Wilhelm Fraenger-Institut gGmbH, ist eine wichtige Ergänzung des weltberühmten Bestandes historischer Anstaltskunst, den 1919–1921 der Kunsthistoriker und Psychiater Hans Prinzhorn (1886–1933) zusammengetragen und durch seine Publikation Bildnerei der Geisteskranken (1922) bekannt gemacht hat. Bislang besaß die Sammlung von Wölfli nur fünf sogenannte Brotblätter, kleinere Farbzeichnungen, die er seit 1915 für Zeichenmaterial oder Kautabak Besuchern überließ. Wölfli ist heute der international bekannteste Art brut-oder Outsider-Künstler. Der Psychiater Walter Morgenthaler (1882–1965) kümmerte sich um den Insassen der Anstalt Waldau bei Bern, sammelte seine Werke und stellte ihn bereits 1921 mit der Monographie Ein Geisteskranker als Künstler heraus. Während Wölflis zum Teil umfangreiche illustrierte Bücher und Hefte heute in der Berner Wölfli-Stiftung aufbewahrt werden, sind seine Brotblätter in vielen europäischen und amerikanischen Sammlungen vertreten. Die vielfältigen, stets randvollen Bildgestaltungen aus Figuren, Ornament, Text und Notenschrift faszinieren durch ihre Originalität und Komplexität. Die Lebensgeschichte des als Halbwaise Aufgewachsenen, als Kindersklave auf Bauerngütern Herumgestoßenen, der schließlich wegen Notzucht erst ins Zuchthaus, dann 1896 in die Anstalt kam, lässt umso mehr über die Werke staunen. Die vorliegende Zeichnung gehört zu Wölflis frühesten erhaltenen Werken. Das Vokabular ist gleichwohl schon fast vollständig, nur die Notenschrift und die Farben fehlen. Das Blatt ist Teil einer Reihe gleichgroßer Zeichnungen von 1904/1905, alle mit Bleistift auf Makulaturpapier ausgeführt. 49 befinden sich in der Wölfli-Stiftung, zwei in Schweizer Privatbesitz, ein weiteres kann von der Sammlung Prinzhorn aus derselben Quelle erworben werden. Beide Blätter hat Prinzhorn in seiner Heidelberger Zeit offenbar dem befreundeten Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger (1890–1964) geschenkt. Dieser hatte sie auf seinem bewegten Lebensweg stets in seinem Arbeitszimmer hängen. Auch diese Provenienz macht das Blatt für das Museum wertvoll.
Dr. Thomas Röske
Abbildung:
Adolf Wölfli, Ramonion=Schlange und Nigger, 1905, zeichnung, Bleistift auf unbedrucktem Zeitungspapier, 74,7 cm x 98 cm, © Museum Sammlung Prinzhorn Heidelberg