Jean-Antoine Houdon, Jean Jacques Rousseau, 1720
Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie, Frankfurt am Main
Jean-Antoine Houdon, einer der wichtigsten französischen Bildhauer des 18. Jahrhunderts, schuf Bildnisse von Politikern, Schriftstellern oder Naturwissenschaftlern seiner Zeit aus Frankreich, Deutschland, Russland und Amerika. Auch den berühmten Philosophen und Schriftsteller Jean Jacques Rousseau (1712-1778) hatte Houdon porträtieren wollen, traf jedoch niemals mit ihm zusammen. Nach Rousseaus Tod wurde der Bildhauer gebeten, eine Totenmaske anzufertigen. So war Houdon in der Lage, den Philosophen wirklichkeitsnah wiederzugeben und entwickelte mehrere Porträttypen: „ à l’antique“, ohne Toga und ohne Perücke über einem knappen Büstenausschnitt, und „à la française“, mit zeitgenössischer Kleidung und Perücke. Ein dritter Typus, den auch die für das Liebieghaus erworbene Büste zeigt, verwendet die antikische Hermenform. Der Porträtierte ist von einer Toga umhüllt und barhäuptig. Um das Haar legte Houdon ein Band, das er „Band der Unsterblichkeit“ nannte, und verglich somit Rousseau mit antiken Dichtern und Heroen.
Wie kein anderer zeitgenössischer Bildhauer verstand es Houdon, die Züge seiner Modelle und deren Charakter zu erfassen. So verlieh er dem Porträt Rousseaus mit präzise geformten Augen, buschigen Augenbrauen, der markanten Nase und dem geschlossenen Mund Lebendigkeit und sinnliche Plastizität. Ebenso wie die meisterhafte Charakterisisierung macht der makellose Guss, die außerordentlich feine Nachbearbeitung und Ziselierung die Eigenhändigkeit augenfällig. Die Büste, bezeichnet mit der Jahreszahl 1780, entstand in der Blütezeit von Houdons Schaffen und vertritt somit die glanzvollste künstlerische Periode im Werk des Bildhauers. Die Liebieghaus Skulpturensammlung besitzt Porträts aus der Zeit vom 15. bis zum 19. Jahrhundert. Es ist für das Haus von größter Bedeutung, dass Houdon als einer der bedeutendsten Porträtbildhauer mit einem qualitätvollen Werk in der Sammlung vertreten ist. Denn das Ziel der Gründer des Museums war es, „die Entwicklung der Bildhauerkunst bei den Kulturvölkern während der historischen Zeiten durch Sammlung hervorragender oder charakteristischer Werke zu veranschaulichen“.
Dr. Maraike Bückling