Johann Liss, Die Versuchung des Heiligen Antonius 1624/25

Bayerische Staatsgemäldesammlung, München

Kaum mehr als 30 Gemälde umfasst das Œuvre des aus Oldenburg in Holstein stammenden, in den Niederlanden ausgebildeten und ab 1620 in Italien tätigen Johann Liss, der in seinen wenigen Schaffensjahren zu einem Künstler europäischen Rangs aufstieg und vor allem die Entwicklung der venezianischen Malerei bis ins 18. Jahrhundert maßgeblich beeinflusste. Von größter Bedeutung ist daher das Auftauchen einer bislang unbekannten, primären Fassung einer seiner meist in zahlreichen Versionen und Kopien vorliegenden Kompositionen.

Die Versuchung des Heiligen Antonius folgt der Schilderung des frühmittelalterlichen Altväterbuchs und der Legenda Aurea des Jacobus de Voragine (gest. 1298), steht aber zugleich in der reichen Tradition der Darstellungen des Themas in der Bildkunst seit dem späten Mittelalter. In nächtlicher Landschaft wird der Eremit von bösen Geistern geplagt, vor allem aber von einem wollüstigen Weib versucht, das zur Verlockung der leiblichen Lust jene des irdischen Reichtums in Form eines mit Goldmünzen gefüllten Kessels fügt. Doch hat der Heilige seinen Blick bereits gen Himmel gerichtet, von wo das in schmaler Bahn einfallende Himmelslicht von baldiger Überwindung der teuflischen Anfechtungen kündet.

Das wohl während seines römischen Aufenthalts 1624/25 entstandene Kupfertäfelchen des Johann Liss belegt zum einen die Orientierung des Meisters an den kostbaren, effektsicheren Nachtstücken seines gleichfalls in Italien tätigen Landsmanns Adam Elsheimer. Zum anderen zeigt es den charakteristischen Duktus von Liss, der es vermochte, selbst im kleinen Format und in kompaktem Bildaufbau mit souveränem, beschwingtem Strich die teuflische Versuchung des Heiligen Antonius in die Nacht zu malen.

Dr. Marcus Dekiert

Abbildung:

Johann Liss, Die Versuchung des Heiligen Antonius 1624/25
© Bayerische Staatsgemäldesammlung, München