Karl Schmidt-Rotluff, Bildnis R. S. 1915

Brücke-Museum, Berlin

Das „Bildnis R.S.“ gehört zu einer Reihe eindrucksvoller Porträts von Freunden und Vertrauten, die im ersten Halbjahr 1915 kurz vor Einberufung des Künstlers zum Kriegsdienst entstanden. Es bildet den Kulminationspunkt einer stilistischen Entwicklung des Künstlers, die seit 1911/12 seine Auseinandersetzung mit der Holzschnitzerei bestimmte. Hier spielte eine umfassende Rezeption von Stilmerkmalen afrikanischer Holzplastik eine Rolle sowie die beginnende eigene Arbeit mit dem Holz als Werkstoff.

Dargestellt ist die Kunsthistorikerin Rosa Schapire, die seit 1907 Passives Mitglied der Künstlergruppe „Brücke“ war. Mit enthusiastischem Engagement und in zahlreichen Publikationen vermittelte sie insbesondere die Kunst  Schmidt-Rottluffs einem breiterem Publikum schon in den frühen Schaffensjahren des Künstlers. Ihre Begeisterung mündete schnell in eine persönlich zugewandte Freundschaft, von der sich jährlich wiederholende gegenseitige Besuche bis zur Emigration Schapires 1939 nach England und nicht zuletzt zahlreiche Kunstwerke, die Schmidt-Rottluff von ihr und für sie schuf, zeugen.

Das „Bildnis R.S.“ 1915 ist nach dem „Bildnis S.“ 1911, das sich als Schenkung des Künstlers ebenfalls im Brücke-Museum befindet, das zweite Porträt in Öl, das Schmidt-Rottluff von Rosa Schapire schuf. Hier wird sein Interesse an einer reduziert-markanten Gesichtszeichnung zur Steigerung der bildlichen Ausdruckskraft deutlich, eine Konzentration auf quasi-geometrische Grundformen – ein typisches Merkmal afrikanischer Plastik. Im Mienenspiel der Physiognomien ihrer Objekte vermittelt sich eine gesteigerte Emotionalität, für die auch Schmidt-Rottluff empfänglich war. Sein Interesse richtete sich deshalb zunächst auf diese formalästhetischen Aspekte der außereuropäischen Kunst, auf die Ausdruckskraft von Linie und flächig reduzierter Form für Gesichtsbildung, Gestaltkontur und Körperlichkeit. Durch seine inzwischen gewachsene Erfahrung in der Bearbeitung von Holzskulpturen (auch hier vornehmlich Kopf-bzw. Gesichtsdarstellungen) führte Schmidt-Rottluff das Bildnis Rosa Schapires in eine flächendynamisch organisierten Komposition, weg von einem zuvor zuweilen dekorativ wirkenden Gegensatz von Linie und Fläche zu körperlich-skulpturaler Präsenz, und verleiht ihm so Lebendigkeit und Authentizität. Die interessierte Strenge, Konzentration und teilnehmende Aufmerksamkeit, die der Kunsthistorikerin eigen waren, vermitteln sich über das Zusammenspiel der künstlerischen Mittel von betonter Linie, Fläche und Form.

Christiane Remm

Abbildungen:
1 Recto: Karl Schmidt-Rottluff, Bildnis R. S., 1915, Öl auf Leinwand, 73,6 x 65,3 cm
2 Verso: Karl Schmidt-Rottluff, Nidden 1913
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