Konvolut von Hinterglasgemälden aus der Sammlung Gisela und Prof. Wolfgang Steiner
Stadt Augsburg Kunstsammlungen und Museen
Das Sammlerehepaar Gisela und Prof. Wolfgang Steiner (München/Mondsee) hat über mehrere Jahrzehnte hinweg die bedeutendste europäische Sammlung an Hinterglaskunst mit inzwischen mehr als 700 Objekten zusammengetragen. Die Sammlung ist aufgrund ihrer qualitativen Dichte und ihres Umfangs unmittelbar mit der Sammlung Frieder Ryser (1920-2005) vergleichbar, die heute den Grundstock des Vitromusée in Romont (Schweiz) bildet, das weltweit einzige Spezialmuseum für Hinterglaskunst. Ihre besondere Bedeutung schöpft die Kollektion aus der Tatsache, dass sie hoch qualitätsvolle Beispiele von der Zeit der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert beinhaltet. Geografisch betrachtet umfasst sie den Schwerpunkt Deutschland und die angrenzenden Regionen und Länder, darunter Österreich, Böhmen, die Schweiz, Italien, Flandern, die Niederlande sowie China, wo bereits im 17. Jahrhundert die Hinterglasmalerei gepflegt wurde und im 18. Jahrhundert Guangzhou das Zentrum war, um die enorme Nachfrage in Europa nach Hinterglasgemälden zu bedienen.
Durch die gemeinsame Kraftanstrengung unter Federführung der Ernst von Siemens Kunststiftung sowie den Kunstsammlungen und Museen der Stadt Augsburg ist es 2021 gelungen, ein herausragendes Konvolut von insgesamt 153 Bildern zu sichern. Zum Erwerbungskonsortium gehörten die Kulturstiftung der Länder, die Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien, ferner der Freistaat Bayern, die Stadt Augsburg sowie ein privater Sponsor.
Das vorliegende Konvolut umfasst insgesamt 50 herausragende Werke, die das Spektrum der Hinterglaskunst zwischen dem Niederrhein und den wichtigsten süddeutschen Produktionszentren auf allerhöchstem Niveau abbilden. Das früheste Hinterglasgemälde ist eine Mondsichelmadonna aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Abb. 1), die den Beginn der Hinterglaskunst im Kontext der spätmittelalterlichen Tafelmalerei dokumentiert. Es wurde als ein privates Andachtsbild geschaffen. Im Zentrum steht die bekrönte apokalyptische Madonna in Dreiviertelansicht, mit üppigem spätgotischem Mantel im Knitterfaltenstil, umgebend von einer goldenen Strahlenkranzmandorla. Das nackte Kind hält sie präsentierend mit beiden Händen vor sich, wobei die Faltenkonstellation einen wirkungsvollen Sockel ausbildet, der seinerseits von der dunklen Monsichel gefasst wird. Die Nacktheit und Schutzlosigkeit des Kindes fordern den Gläubigen zu einer andachtsvollen Zwiesprache heraus.
Das 17. Jahrhundert ist u.a. durch Gerhard Janssens (1636-1725) Zimelie der Fußwaschung Christi (Abb. 2), die in kostbarer Eglomisé-Technik ausgeführt wurde, vertreten. Hiervon sind weltweit nur ganz wenige Beispiele von Janssen erhalten. Das von Gerhard Janssen monogrammierte Hinterglasgemälde in Eglomisé-Technik mit brauner Lasur vor Blattgold, transformiert Kilians Kupferstich-Vorlage in ein kostbares monochromes Erscheinungsbild mit einer ganz eigentümlichen Lichtsituation. Durch die Verwendung des Blattgolds erzeugt er ein innerbildliches Licht, das der neutestamentarischen Situation besonders angemessen erscheint. Mit der zentral im Hintergrund angeordneten monochrom-dunkelbraunen Fläche – diese befindet genau hinter der Christusfigur – variiert Janssen geschickt die Vorlage, beruhigt die Komposition und schafft zugleich eine betonende Folie für das Haupterreignis. Der in den dunklen Grund von oben herabhängende Leuchter spielt mit dem Thema des Lichtes, denn die Lampe verweist auf ein innerbildliches reales Licht, das jedoch faktisch nur durch den Goldglanz der hinterlegten Goldfolie gegeben ist. Janssen erweist sich damit als ein höchst kreativer Künstler, der mit der besonderen Technik und der zugehörigen Vorlage ein neues künstlerisches Ganzes geschaffen hat. Das vorliegende Hinterglasgemälde darf damit als eine besondere eigenschöpferische Leistung von höchster künstlerischer Qualität gelten. Das 18. Jahrhundert wird durch einige hoch qualitätsvolle Augsburger Arbeiten repräsentiert. Die freie Reichsstadt zählte zu den wichtigsten Zentren der Hinterglasmalerei im 18. Jahrhundert. Hier bildete sich der „Augsburger Stil“ heraus, der in ganz Europa populär wurde. Hinterglasgemälde aus Augsburg wurden bis „bis nach Portugall, Spanien und in die amerikanischen Colonien gebracht,“ so berichtet Paul von Stetten 1779. In den Jahren zwischen 1730 und 1800 waren in Augsburg bis zu 13 Meister tätig, darunter der berühmte Johann Wolfgang Baumgartner (1702-1762), von dem fünf signierte Werke aus der Sammlung Steiner erworben werden konnten (Abb. 3/4). Nur Baumgartner verwendete eine spezifische Technik der Farbradierung, die in keinem anderen Hinterglaszentrum der Welt jemals Einsatz fand: Seine Gemälde sind in Hinterglastechnik dergestalt ausgeführt dass die grafischen Elemente, d.h. die dunklen Konturlinien von Architektur (Simse, Fenster etc.) wie auch die der kleinen Figuren, die sich im Vordergrund tummeln, von der Rückseite her herausgekratzt und damit durchsichtig zum Glas hin gemacht wurden. Erst durch das Hinterlegen eines schwarzen Kartons erhalten diese Lineaturen Sichtbarkeit, so dass sich die Komposition vervollständigt. Von Baumgartner weltweit nur 38 Werke bekannt. Abgerundet werden die deutschen Kunstlandlandschaften durch Johanna Elisabeth Weydmüllers (1725-1807) Blumenstillleben aus dem sächsischen Königshof (dort dokumentiert in den Katalogen 1801 und 1809) (Abb. 5). Es bezieht sich auf ein Stillleben des Niederländers Jan van Huysum (1682-1749). Dieses seit 1754 im Inventar des sächsischen Königshofs verzeichnete Gemälde (Galerie-Nummer 1698) ist seit 1945 verschollen. Johanna Weydmüller erlernte die Hinterglasmalerei bei ihrem Vater in Sorau, ging in jungen Jahren nach Dresden, wo sie die kurfürstliche Familie im Zeichnen und Malen unterrichtete. 1771 wurde die Malerin als erste Frau Mitglied der kurfürstlich sächsischen Akademie, deren Spezialität Blumenstillleben in Hinterglastechnik waren.
In Fokus der Hinterglasmalerei steht zudem die ikonografische Verknüpfung der Motive mit Vorlagen aus der - ebenfalls überwiegend oft Augsburgischen - Druckgrafik. Hierdurch wird deutlich, dass entgegen der landläufigen Meinung, die Hinterglasmalerei bis ins 19. Jahrhundert eine anerkannte akademische Malerei war. Aus diesem Grund stehen volkskundliche Themen und Motive in der Sammlung Steiner nicht im Zentrum, sind aber auch mit wichtigen Beispielen vertreten (Staffelsee, Murnau, Oberammergau). Dass die graphischen Vorlagen zu zahlreichen Bildern in der Sammlung Steiner in großen Teilen vorhanden sind ist das Verdienst von Prof. Wolfgang Steiner. Es handelt sich damit um die weltweit einzige Hinterglasgemäldesammlung bei der gut zwei Drittel der Werke hinsichtlich ihrer grafischen Vorlagen erschlossen ist.
Dr. Christof Trepesch
Abbildung:
1 Mondsichel-Madonna, wohl Niederrhein/Flandern, um 1530-1550, 17,9 x 13 cm, Braunlotmalerei, gestupft und radiert, lasierende und halbdeckende Malerei, Eglomisé mit rot-brauner Lüsterfarbe vor Blattgold, HGS 710 © Stadt Augsburg Kunstsammlungen und Museen
2 Gerhard Janssen (1636-1725), Fußwaschung, signiert unten links „GJ“, Eglomisé mit brauner Lasur vor Blattgold, teilweise radiert © Stadt Augsburg Kunstsammlungen und Museen
3 Wolfgang Baumgartner (1702-1762), Piazzetta I, deckende Farben, ausgekratzt und mit schwarzen Karton hinterlegt © Stadt Augsburg Kunstsammlungen und Museen
4 Wolfgang Baumgartner (1702-1762), Piazzetta II, halb deckende Farben, radiert und mit schwarzen Karton hinterlegt © Stadt Augsburg Kunstsammlungen und Museen
5 Johanna Elisabeth Weydmüller (1725-1807), bez. „Johanna Elisabeth Weydmüllern“, halbdeckende und deckende Farben © Stadt Augsburg Kunstsammlungen und Museen