Kreuztragung Christi, um 1440
Staatliche Museen zu Berlin – Skulpturensammlung
Seit 1943 besitzt die Berliner Skulpturensammlung ein Alabasterrelief der Kreuztragung, das zu den wichtigsten Passionsdarstellungen des Spätmittelalters zählt. Neuere Recherchen haben gezeigt, dass dieses Werk verfolgungsbedingt in den Besitz der Staatlichen Museen zu Berlin gekommen ist. Dementsprechend hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz das Relief den rechtmäßigen Eigentümern restituiert. Dank des Engagements der Ernst von Siemens Kunststiftung bleibt die Kreuztragung jedoch dem Bode-Museum erhalten.
Das Relief, das nur 17,0 cm x 26,8 cm misst, war sicherlich für die private Andacht als Hilfsmittel bei Gebeten und Meditationen konzipiert. Im schmalen Bildfeld wird der Weg nach Golgatha dargestellt. Gebeugt unter der schweren Last des Kreuzes, bewegt sich Christus auf einem felsigen Boden nach rechts. Hinter ihm stehen Johannes, Maria und eine weitere Heilige. Simon von Kyrene wird von einem Soldaten an der Kapuze gegriffen und zur Hilfeleistung gezwungen, Christus von Soldaten und Schergen verspottet und gequält. Der weitere Verlauf des Leidens Christi wird in der Figur des Soldaten ganz rechts anschaulich gemacht, der in seiner rechten Hand den Hammer hält, mit dem Jesus anschließend an das Kreuz genagelt werden soll.
Spätmittelalterliche Andachtsliteratur wie die Meditationes Vitae Christi (ca. 1350) des Pseudo-Bonaventura forderten eine immer persönlichere Beziehung der Gläubigen zu Christus und Maria, und die Kreuztragung wurde als eine Mahnung verstanden, das eigene Leben in Einklang mit dem Opfer Christi zu führen. Die Inschrift auf dem Rahmen des Reliefs ist auch in diesem Zusammenhang zu verstehen:
„o.mensch.sich.dise.figur.an.und.wasz
got.durch.dich.hat.gedan.desz.solt
im.dancken.sicherleich.so.geit er dir.sein.himmelreich“
(„O Mensch, betrachte dieses Bild und sieh, was Gott für dich getan hat. Dafür sollst du ihm sicherlich dankbar sein, damit er dir sein Himmelreich schenkt“ – nach Kammel). Nur wenige Kunstwerke verbinden solche mahnenden Texte mit Bildern.
Stilistisch gehört das Alabasterrelief in den Umkreis des Rimini-Meisters, eines Künstlers, der nach der großen Kreuzigungsgruppe aus Sta. Maria delle Grazie in Rimini (heute im Frankfurter Liebieghaus) benannt wurde. Ob er um 1430-1440 in den Niederlanden oder am Mittelrhein tätig war, ist umstritten. Der Dialekt der Inschrift auf dem Berliner Relief scheint allerdings eine Lokalisierung im Mittelrheingebiet zu unterstützen.
Dr. Julien Chapuis