Lüsterweibchen 1510/20

Bayerischen Nationalmuseum, München

Das Bildwerk war einst Teil einer vornehmen Raumausstattung. Auf dem Rücken der Figur der jungen Frau ist ein Geweih zu ergänzen, auf dessen Enden Leuchter befestigt wurden. Beliebt waren solche aufwändig gestalteten Leuchter in Ratsstuben, aber auch in gehobenen Privathäusern. In unserem Fall hält die junge Dame zwei Wappenschilde, die ursprünglich näheren Aufschluss über die Bestimmung des Bildwerks gegeben haben dürften.

Die Figur übertrifft qualitativ deutlich das Dutzend Lüsterweibchen, die bereits im Besitz des Bayerischen Nationalmuseums waren; sie gehört zu den besten Vertretern der Gattung und gleichzeitig zu den berühmtesten Skulpturen der Sammlung Bollert. Wie mehrere ihrer besten Werke stammt es aus der Berliner Sammlung von Benoit Oppenheim - erinnert sei nur an das Riemenschneider-Relief aus Münnerstadt und die beiden Figuren aus der Werkgruppe der Biberacher Sippe.

Die genaue Lokalisierung und Zuschreibung des Bildwerks waren bislang umstritten; im Katalog der Berliner Ausstellung der Sammlung Bollert im Jahr 2000 firmiert es als oberrheinisch oder schwäbisch. Der Gesichtsschnitt der jungen Frau mit der hohen, gewölbten Stirn, den weit geöffneten mandelförmigen Augen mit den stark plastisch herausgearbeiteten Augenlidern und schließlich dem schmalen, durch die Betonung der Mundwinkel scheinbar lächelnden Mund weisen aber nachdrücklich auf einen engen Zusammenhang mit der Kunst des großen Nürnberger Bildschnitzers Veit Stoß hin. Nach einer Zeichnung von Albrecht Dürer hat dieser 1522 für die Regimentsstube des Nürnberger Rathauses mit einem Leuchter aus geschnitztem Drachen und Rentiergeweih einen berühmten Sonderfall der Gattung geschaffen (heute: Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg).

Die in dieser Hinsicht konventionellere Mädchengestalt des Bollert-Lüsters gab Gelegenheit zur Schilderung einer reichen zeitgenössischen Gewandung. Das Plissée des Turbans und des Hemdes steht in reizvollem Kontrast zur Glätte des Gesichts und des weiten Halsausschnitts. Ihn ziert zusätzlich eine Gliederkette. Eine weitere Gliederkette hält das Kleid zusammen, der Turban ist reich mit Juwelen besetzt.

Matthias Weniger

Abbildung:

Lüsterweibchen 1510/20
© Bayerischen Nationalmuseum, München