Lyonel Feininger, Gelmeroda XI 1928
Klassik Stiftung, Weimar
Das Gemälde Gelmeroda XI von 1928 gehört zur wohl bedeutendsten Werkgruppe von Lyonel Feininger, die sich mit der kleinen Dorfkirche von Gelmeroda bei Weimar auseinandersetzt. Dieses Motiv begleitete Feininger von seinem ersten Besuch in Weimar 1906 bis zu seiner letzten Lithographie 1955 in New York. Im Zentrum stehen zehn Gemälde der Kirche von Gelmeroda von 1913 bis 1936, an denen sich die künstlerische Entwicklung Feiningers in seiner wichtigsten Schaffensperiode in Deutschland exemplarisch nachvollziehen lässt. Während die Auseinandersetzung mit der europäischen Moderne, mit dem französischen Kubismus, italienischem Futurismus und deutschem Expressionismus seit 1911 seinen Stil wesentlich prägten, führte seine Tätigkeit am Bauhaus in Weimar und Dessau von 1919 bis 1932 zu einer Beruhigung seiner Bildsprache.
Gelmeroda XI wurde in einer Zeit des Umbruchs am Bauhaus Dessau geschaffen, als der Gründungsdirektor Walter Gropius sein Amt an den Architekten Hannes Meyer übergab und nach Berlin ging. Im Sinne einer Standortbestimmung griff Feininger in Komposition und malerischem Duktus auf das Schlüsselwerk Gelmeroda I von 1913 zurück, wie dies auch bereits beim Gemälde Dröbsdorf 1927 spürbar ist, das vor wenigen Jahren für die Weimarer Sammlung erworben werden konnte. Im Gegensatz zu den frühen Gemälden gelangte Feininger zu einer Formulierung mit monumentalerer Ausstrahlung und konstruktiver Bindung. Die noch vorhandene Bewegtheit der Tanne wird durch das ruhige Aufsteigen des Kirchturms ausbalanciert und verweist auf Feiningers Nähe zur Romantik mit der Symbolik von Menschenwerk und Natur. Der perlmuttfarbig schimmernde Himmel in zarten Grüntönen verbindet das subtile Farbspektrum des Bildes von Ocker zu Kobaltblau.
Das Gemälde Gelmeroda XI ersetzt nach fast siebzig Jahren den Verlust des Bildes Gelmeroda VIII von 1921, das 1924 durch die Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar vom Künstler erworben worden war, 1937 in der Aktion „Entartete Kunst“ konfisziert wurde und heute seinen Platz im Whitney Museum of American Art in New York gefunden hat.
Michael Siebenbrodt
Abbildung: