Max Ernst, Europa nach dem Regen I (L'Europe après la pluie I) 1933
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Nach den ersten tief greifenden politischen Veränderungen in Deutschland und Europa entsteht mit L’Europe après la pluie I ein Kunstwerk, das Europa nach einer Sintflut zum Thema zu haben scheint. Der aus einem Gipsrelief bestehende Bildträger bildet mit Europa den Teil der Weltkarte ab, in dem nach dem Ersten Weltkrieg und der Russischen Revolution 1917 die größten Veränderungen stattgefunden haben. Überraschenderweise versperrt Max Ernst für den Betrachter durch die Materialität des Gipsreliefs jede räumlich-visuelle Durchdringung des Bildes, die sonst für seine Kunstwerke so bedeutsam ist. Trotz aller Deformation, die das Bild Europas zeigt, vermittelt es eine Maßstäblichkeit, die dem Betrachter mit der geographischen Einbeziehung der gesamten (damaligen) UdSSR geläufig erscheint.
Das bemalte Gipsrelief lässt Europa gleichsam mit einer petrifizierten Oberfläche aufscheinen. Geographisch sind der „italienische Stiefel“ und die Iberische Halbinsel verloren gegangen, während neue, imaginierte Grenzlinien willkürlich neue Territorien entstehen lassen. Einzig die Lage des Mittelmeeres erscheint dem Betrachter vertraut, das Schwarze Meer wird von Osten nach Westen verlagert, so als wäre Europa entlang der Nord-Süd-Achse gefaltet worden. Der beklemmende Eindruck, den die Transformation Europas durch die Naturkatastrophe erreicht hat, wird an den Meeresrändern durch fein gestrichelte Schiffsrouten aufgebrochen, da in ihnen eine mögliche Bewegung der Menschen zumindest auf See angedeutet wird.
Prof. Dr. Klaus Schrenk
Abbildung: