Merseburger Radleuchter, Ende 15./Anfang 16. Jahrhundert
Merseburger Dom und Kunsthistorisches Museum Schloss Merseburg
Der erst im 19. Jahrhundert in einer Turmkapelle wiederaufgefundene spätgotische Radleuchter des Merseburger Doms gehört zu den bemerkenswertesten Ausstattungsstücken aus der Zeit Bischof Thilos von Trotha (1466-1514) und zu den bedeutendsten Leuchtern des Spätmittelalters überhaupt.
Der circa 2 x 2 Meter große Radleuchter ist ein Kunstwerk voller christlicher Zahlensymbolik. Auf seinen drei schmiedeeisernen Ringen finden insgesamt 40 Kerzen Platz. Der oberste Ring trägt 4 Kerzen. Dies entspricht der Zahl der großen Propheten, der Evangelisten, der Kirchenväter aber auch der Jahreszeiten. Der zweite Ring trägt 12 Kerzen, dies verweist auf die Apostel Jesu und ebenso auf die Monate des Jahres. Der unterste große Ring zeigt 24 Kerzen, was der Zahl der Ältesten beim Jüngsten Gericht entspricht. Die Gesamtzahl 40 ist symbolisch bedeutend für Christus, der 40 Tage in der Wüste fastete oder für das Volk Israel, das auf seiner Wanderung 40 Jahre in der Wüste verbrachte. An seinem unteren Reif wird auf 21 von ursprünglich 24 anhängenden Wappenschildern auf die Merseburger Bischöfe seit dem beginnenden 13. Jahrhundert verwiesen.
Die einzelnen Reifen sind mit kunstvoll durchbrochenen vergoldeten Schmuckblechen verziert, die Tiere und Ornamente darstellen und offenbar auf Vorlagen aus einem Ornamentbuch von Daniel Hopfer (1470-1536) zurückgehen. Bekrönt wird der Leuchter von den Hauptheiligen des Merseburger Domes; Laurentius und Johannes der Täufer, die in einem Tabernakel stehen. Die eine Doppelfigur bildende Skulptur wurde aus einem Holz geschnitzt und polychrom gefasst. Sie gilt nach der Einschätzung des Kunsthistorikers Walter Hentschel als eines der besten Schnitzwerke der Spätgotik, die in Leipzig entstanden sind.
Nach einer ersten Restaurierung von 1857 wird der Leuchter nun durch Restauratoren des Berliner Ateliers Haber und Brandtner untersucht und einfühlsam gereinigt und konserviert. Der Radleuchter ist zur Frage des Fassungsaufbaus untersucht worden. Dazu wurden verschiedene Querschliffe von der Vergoldung und der partiellen Farbfassung angefertigt und mikroskopisch ausgewertet. Zudem wurden Materialanalysen durchgeführt. Ziel der Reinigung ist es, die Vergoldung unter der Schmutz- und Korrosionsschicht schonend freizulegen, und ein gepflegtes Gesamterscheinungsbild wieder herzustellen.
Dr. Holger Kunde
Abbildung
Merseburger Radleuchter, Ende 15./Anfang 16. Jahrhundert. Kupferblech, getrieben, graviert, mit Vergoldung und partieller Fassung; Doppelfigur Johannes und Laurentius: Holz mit farbiger Fassung. D. 172 cm x H. 175 cm.
© Merseburger Dom und Kunsthistorisches Museum Schloss Merseburg