Oskar Kokoschka - Sommer I
Albertinum, Dresden
Der in Wien skandalumwittert bekannt gewordene Oskar Kokoschka schuf zwischen 1916 und 1923 in Dresden expressive, mit grobem Pinsel modellierte Bildnisse und Allegorien von starker Farbigkeit, die rasch von Museen und Sammlern erworben wurden. Der Patronatsverein der Staatliche Gemäldegalerie Dresden hatte bereits 1919/20 zwei Hauptwerke erworben, die 1937 als „entartet“ beschlagnahmt wurden („Frau in Blau“, heute Staatsgalerie Stuttgart; „Macht der Musik“, heute Stedelijk Museum Eindhoven). Diese Lücke kann mit der Neuerwerbung von „Sommer I“, die gemeinsam mit dem Sprengel-Museum Hannover erfolgt, nun geschlossen werden. Während in der Hannoveraner Sammlung bis heute eines der Gemälde aus der starkfarbigen Dresdner Periode fehlte, kann in Dresden mit dem Erwerb an eine Werkgruppe aus sechs verlorenen Gemälden von Kokoschka, die bis 1937 die moderne Sammlung dominierten, angeschlossen werden.
Kokoschkas Liegende gehört in die Reihe der großen Aktdarstellungen der abendländischen Kunst. Neue Erkenntnisse zeigen, wie Kokoschka es verstand, auf das Vorbild der Alten Meister zu verweisen und zugleich aktuelle Tendenzen der Ausdruckskunst zu entwickeln: Kokoschka bezog sich auf Rubens „Bathseba“, deren Beschädigung durch eine Kugel 1920 die so genannte „Kunstlump“-Debatte mit Grosz und Heartfield auslöste. Neben Bezügen auf einen zur Zeit der Renaissance geschätzten Farbklang aus Inkarnat-, Rot-, Grün- und Weißtönen kann das expressiv bewegte Bild geradezu als Antithese gelten zur Harmonie der Dresdner „Schlummernden Venus“ von Giorgione und Tizian. Kokoschka fasste seine „Göttin“ mit den angewinkelten Beinen sehr eigen auf, sie entspricht keinen glatten Schönheitsvorstellungen. Ursprünglich mit „Abisag“ betitelt, war das Motiv auch Sinnbild für Schutz und Wärme. Der Künstler lieferte eine poetische Beschreibung des Bildes, als er 1922 an seine Freundin Anna Kallin schrieb: „Du wirst um (der) Liebe willen in der Sonne liegen und reifen wie Korn und deine Seele wird so einfach duften für mich.“
Carl Einstein bildete das Gemälde, das ab 1925 zur Sammlung Hermann Lange in Krefeld zählte, 1926 in seiner „Kunst des 20. Jahrhunderts“ ab.
Birgit Dalbajewa
Oskar Kokoschka (1886-1980)
Öl auf Leinwand
110 x 140 cm
Abbildung: ©Fondation Oskar Kokoschka, Vevey / 2025, ProLitteris © Vg Bild-Kunst, Bonn