Philipp Otto Runge, Ruhe auf der Flucht , 1800/1801
Kunstsammlungen zu Weimar
Bei dem aus Dresdner Privatbesitz aufgetauchten kleinformatigen Bild handelt es sich um eines der ersten in Öl gemalten Werke von Philipp Otto Runge. Angesichts der sich auf nur rund dreißig belaufenden Zahl der Ölgemälde, die dieser in Deutschland nächst C. D. Friedrich einflussreichste Romantiker in kurzer Lebenszeit hinterließ, ist allein die Tatsache der Entdeckung des Bildes eine Sensation. J. Träger hat dieses Bild überzeugend in Runges Frühwerk eingeordnet.
Obgleich es sich um ein so frühes Werk unter Verwendung von damals für Runge kennzeichnenden, geläufigen Vorbildern Alter Meister handelt, werden schon sehr charakteristische Eigenschaften Runge’scher Bildgestaltung offenbar, die es entschieden über ein bloßes Dokument seiner malerischen Frühphase hinausheben. Träger weist insbesondere auf Vergleichbarkeiten mit der drei Jahre später datierten Hamburger „Ruhe auf der Flucht“ hin, wozu das erworbene Bild eine erste Version in Öltechnik darstellt. Dieser wiederum liegt eine beinahe identische Zeichnung zugrunde (heute: Kupferstichkabinett der Nationalgalerie Berlin), die aus Runge’schem Familienbesitz stammt. Ikonographisch verweist Träger u. a. auf eine Gruppe von Zeichnungen zum gleichen Thema aus den Jahren 1798/1799 mit auffälligen Vergleichbarkeiten wie dem asymmetrisch fallenden Kopftuch der Maria, das bis in die große Hamburger Fassung von 1805 wirkt. Ähnlich auch die Kopfhaltung Josephs, das Sitzmotiv des Kindes im Profil und dessen haptisches Greifen, das Runge in späteren Werken zum Bildthema erhob. Diese Blätter mit unmittelbaren Vorstufen zu dem kleinen Ölgemälde lassen dessen ziemlich präzise Datierung um 1800 zu, womit das Bild in die letzte Kopenhagener Zeit fällt, als Runge bei J. Juel mit der Ölmalerei begonnen hatte.
Als weitere charakteristische Eigenarten, die auch für Runges künftige Bildgestaltung Bedeutung haben, seien die innige Zuwendung von Madonna und Kind und ihr von innen her leuchtendes Inkarnat genannt, sodann die sich dagegen dunkel abhebende Bildhälfte mit Joseph und dem Esel (gesteigert in der Hamburger Fassung von 1805) sowie die Ausformung der Disteln und die für Runges malerisches Gesamtwerk so charakteristische, raumgreifende Plastizität.
Christoph Heilmann
Abbildung: