Philipp Otto Runge, Selbstbildnis am Zeichentisch
Hamburger Kunsthalle
Der aus Norwegen stammende Naturphilosoph Henrik Steffens, den Runge 1801 in Tharandt kennengelernt hatte, erinnerte sich an seine Erscheinung: "Er war von mittlerer Größe, schlank gebaut, zeichnete sich aber besonders durch einen starken Knochenbau aus, den man an den Händen und Füßen, aber auch im Gesicht erkannte. Seine Gesichtszüge waren dessen ungeachtet höchst einnehmend und bedeutend; jeder, der ihn sah, ahnte in ihm eine phantasiereiche Dichternatur. Seine großen lebendig sinnenden Augen waren gewöhnlich nach innen gekehrt und hatten eine unbeschreiblich anziehende Gewalt. " Steffens Schilderung erweist sich vor allem an Runges Selbstbildnis am Zeichentisch, das für die Hamburger Kunsthalle erworben wurde, als treffende Charakterisierung. Den Kopf gegen seine linke Schulter zum Betrachter gewendet, gebraucht Runge eine barocke Pathosformel, die er genauso wie die weich modellierende Kreidetechnik auf farbigem Papier bei seinem Lehrer Gerdt Hardorff und anschließend während seines Aufenthaltes in Dresden bei Anton Graff kennengelernt hat. Doch bereits im Blick, den Steffens als nach innen gekehrt beschrieb, lässt Runge jede barocke Konvention hinter sich. Die Augen sind zwar auf den Betrachter gerichtet, doch blicken sie in eine undefinierte Ferne, so als wäre das Innere nach außen getragen. Die freundliche Distanziertheit barocker Bildnisse wandelt Runge in eine direkte, offene Selbstbefragung, wie sie vorher in ähnlicher Weise nur Rembrandt möglich war.