Politische Propaganda und Patriotismus auf Kimonos
Museum Fünf Kontinente, München
Konvolut Propaganda-Kimonos aus der Sammlung Wolfgang Ruf, frühes 20. Jahrhundert
Diese Überjacke für Männer kann auf Grund der in das Innenfutter (Haura) gewebten Darstellungen auf die Zeit des Russisch-Japanischen-Krieges, 1904/1905, datiert werden. Die Bildvignetten hatten womöglich Postkarten aus den Kriegsjahren mit Szenen vom Schlachtfeld und von der Heimatfront zum Vorbild. Dekorative Postkarten waren um 1900 in Mode gekommen und ein berichtenswertes Ereignis, wie ein erfolgreich geführter Krieg, hätte Künstlern eine außerordentliche Gelegenheit geboten, die historischen Begebenheiten mit Hilfe des neuen Mediums zu dokumentieren. Die Postkarten-Illustrationen von den Kriegserfolgen zu Land und zur See lieferten der japanischen Öffentlichkeit beruhigende Bilder, die halfen, Nationalstolz und Einigkeit zu stärken. Ebenso hoben sie Japans Fortschritt und militärische Stärke gegenüber einer staunenden internationalen Gemeinschaft hervor.
Drei der auf der Überjacke zu sehenden Bildvignetten nehmen direkt Bezug zu militärischen Handlungen während des Krieges. Eine zeigt ein Schlachtfeld, auf dem Soldaten den Feind mit Feldartillerie beschießen; auf einem Hügel wird die Position des Gegners mit Hilfe eines Suchlichtes angezeigt. Auf einer anderen ist eine Seeschlacht in vollem Gang, bei der es sich vielleicht um einen Vorläufer des japanischen Sieges von Tsushima handelt, welcher vorentscheidend für den Ausgang des Krieges war. Die dritte Vignette zeigt Angehörige des japanischen Militärs, die eine von Mauern umgebene Stadt betreten; dass sich die Stadt unter japanischer Kontrolle befindet, signalisieren die Kriegs- und die Nationalflagge Japans über den Gebäuden.
Eine letzte Vignette zeigt eine Feier an der Heimatfront: Eine große, laternentragende Menge hat sich in den Straßen versammelt, um der militärischen Erfolge Japans zu gedenken. Gedenkkarten wurden noch einige Jahre nach Kriegsende produziert und Darstellungen von ausgelassen feiernden Menschenmengen, wie die hier abgebildeten, wären ein typisches Motiv gewesen. Die Wolken, welche die Vignetten umgeben, können als Schlachtenrauch oder als Bezugnahme auf die traditionelle japanische Malerei interpretiert werden, in der wellige Wolken dazu dienen, einzelne Szenen einer dargestellten Erzählung voneinander zu trennen.
Das Muster des Innenfutters ist relativ aufwendig und kunstvoll ausgeführt. Anzunehmen ist, dass es von einem der führenden japanischen Textilhersteller stammt, die für ihre feinen Webereien bekannt waren. Der hervorragende Erhaltungszustand der Haori lässt uns erahnen, welche Bedeutung die Überjacke für ihren früheren Besitzer gehabt haben musste. Beim Tragen muss er in der Tat großen patriotischen Stolz empfunden haben.
Jacqueline Atkins (Übers. a. d. Engl.)
Abbildung: Überjacke (Haori), frühes 20. Jahrhundert, Seide, gewebt