René Magritte, Le Gôut de L'invisible, 1927
Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
„Le Goût de L’invisible“ entstand in der frühen, „heroischen“ Phase des Surrealismus, die durch die zwei Manifeste 1924 und 1929 eingegrenzt wird. Magritte, das Haupt der belgischen Surrealistengruppe um E.L.T. Mesens, Camille Goemans und Paul Nougé, verfolgte die Aktivitäten der Pariser Gruppe um André Breton, was ihn im September 1927 zum Umzug von Brüssel nach Paris bewegte. Das Gemälde datiert in das dritte Quartal des Jahres 1927 unmittelbar vor Magrittes Umzug. Es macht deutlich, dass die wesentlichen Ansätze seiner surrealistischen Position bereits in der Brüsseler Zeit entwickelt waren.
Das querformatige Bild lässt sich zunächst als dreigründige Landschaft beschreiben, die sich in einen braunen Vordergrund, einen rotbraunen Mittelgrund und einen blauer Hintergrund unterteilt. Schon in der Anlage des Bildraumes verunklärt der Künstler jedoch die perspektivische Ordnung: Das Braun des Vordergrundes durchzieht das darüber liegende Bildfeld zweimal als vertikaler Streifen, sodass der Grund zugleich als nach hinten fluchtende Bühne und bildparallele Fläche gelesen werden kann. Der blaue Hintergrund schließt nicht organisch als Himmelzone an, sondern scheint hinter einer Abrisskante aufgespannt. In diesen alogischen, inkonsistenten Raum hat der Künstler identifizierbare und nicht-identifizierbare Gegenstände platziert. Zu den identifizierbaren gehören schwarze Schlingpflanzen und Wolken. Diese schweben im gesamten Bildfeld und setzen die Ordnung von oben und unten außer Kraft. Zu den nicht-identifizierbaren Gegenständen zählen zwei flächige weiße Formen, die an Papierfetzen mit einem Loch in der Mitte erinnern und hier an die Stelle menschlicher Bildfiguren treten. Sie sind in der vorderen Bühne verankert, und erscheinen wie verschiebbare Theaterkulissen.
Der als „Der Geschmack des Unsichtbaren“ zu übersetzende Bildtitel spielt auf das Unsichtbare an und zielt damit auf ein Kernstück der surrealistischen Programmatik. Der Titel verweist auf ein anderes Verhältnis von Wort und Bild bzw. von Bild und Welt. Max Ernst hat 1935 mit Bezug auf Magrittes Kunst von Collagen als „Idee und Denkform“ gesprochen, in die sich Titel und Bilder gleichermaßen einfügen. Vertrautes und Fremdartiges treffen aufeinander und zeigen, was hinter dem Sichtbaren verborgen ist.
Prof. Dr. Pia Müller-Tamm
Abbildung: René Magritte (1898-1967), Le Gôut de L'invisible, 1927, Öl auf Leinwand, 73 cm x 100 cm, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Inv.-Nr.: 2978