René Magritte, Les jours gigantesques
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
Magritte malte das Bild „Les jours gigantesques" in der für ihn ebenso entscheidenden wie fruchtbaren Phase seines Pariser Aufenthaltes (1927/1930). In der unmittelbaren Verknüpfung von Sexualität und Sadismus findet hier sein Abscheu vor den Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft ihren krassesten Ausdruck. Das verbindet Magritte mit den anderen Surrealisten, mit denen er vor allem in dieser Zeit engen Kontakt pflegte.
Äußerungen des Malers zu seinen Bildern sind in den zwanziger Jahren selten; in diesem Fall drängte es Magritte, seinem Freund Marcel Lecomte das Motiv zu erklären: „Dargestellt ist ein Vergewaltigungsversuch. Die Frau ist sichtlich entsetzt. Dieses Sujet habe ich mit einem Trick, d. h. der Umkehrung der räumlichen Gesetze behandelt, was es auf ganz ungewöhnliche Weise wirken läßt. Das sieht etwa so aus: Der Mann packt die Frau. Er ist im Vordergrund. Zwangsläufig verdeckt er einen Teil der Frau. Der Witz aber liegt darin, daß die Gestalt des Mannes nicht über die Konturen der Frau hinausgelangt." Auf diese Weise zeigt Magritte lapidar, wie sich der aggressive Akt des Mannes gegen diesen selbst zu richten scheint. Zwar spiegeln sich Schrecken und Entsetzen in den Zügen der Frau wider, aber ihre kolossale Nacktheit ist derart dominant, daß der konventionell gekleidete und gesichtslose unbekannte Täter von ihren ausgreifenden Konturen buchstäblich gefangen gehalten, ja geradezu überwältigt wird. Nicht zuletzt darin liegt die Widersprüchlichkeit dieser zwanghaften Darstellung.
Magritte malte das Bild 1928, dessen Raumauffassung sich der Collagetechnik verdankt, in zwei verschiedenen Fassungen. In der ersten zeigte er die Szene in Nahaufnahme als Kniestück. Bei der späteren, größeren Version erhöhte Magritte die Wirkung, indem er das Motiv distanzierend in einen Rahmen rückte. Die Frau ist nun ganzfigurig wiedergegeben, wobei ihre Proportionen an Picassos neoklassizistische Bilder erinnern. Die einzigartige Bedeutung von „Les jours gigantesques" liegt darin, daß sich hier wie bei kaum einem anderen Bild im Œuvre Magrittes auf überraschende Weise Inhalt und Form decken. Als Magritte an dem Sujet arbeitete, las er die „Recherches sur la sexualité". Es ist denkbar, daß Magritte mit der Direktheit und Brutalität seiner Darstellung auch die Äußerungen der Künstlerfreunde kritisierte.
Volkmar Essers
Abbildung: René Magritte (1898- 1967): Les jours gigantesques; Paris 1928; Öl auf Leinwand; 116 x 81 cm , © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen