Rothenburger Skizzenbuch (Hans Thoma)

Reichsstadtmuseum Rothenburg

Obwohl fünf Zeichnungen aus dem Buch bedauerlicherweise herausgetrennt sind, ist die Einheit des Buches bis zu einem gewissen Grad wieder herstellbar, da glücklicherweise alle Blätter vorhanden sind. Mit der Rekonstruktion wird ersichtlich, dass Thoma 1885 in Rothenburg begonnen hatte, sein Skizzenbuch anzulegen. Die ersten elf Blätter zeigen durchweg Ansichten aus der Tauberstadt. Sie erweisen sich als die qualitätsvollsten des ganzen Bandes: die Kohlezeichnungen sind zum Teil koloriert und mit Tusche konturiert.

Hervorzuheben sind die Blätter mit der Stadtsilhouette und zwei Ansichten des Taubertals. Von besonderer Bedeutung ist eine Ansicht vom Burggarten nach Detwang mit der Stegmühle im Vordergrund, da Thoma diese Skizze als Vorlage für ein wichtiges Ölgemälde verwendete (heute: Sammlung Schäfer, Schweinfurt). Das Skizzenblatt besitzt zudem dokumentarischen Wert, da die Stegmühle 1977 abgerissen wurde. Auch die zweite Taubertalansicht mit der Herrenmühle, Lukasrödermühle und der Kobolzeller Kirche taucht in Anklängen häufiger in Thomas druckgraphischen und malerischen Werk auf. Gerade im Taubertal um Rothenburg mit der höchsten Mühlendichte Frankens fand der Müllersohn Hans Thoma offensichtlich bevorzugt interessante Motive.

Die Qualität der Blätter liegt aber nicht nur in der für ein Skizzenbuch sorgfältigen Ausführung, sondern auch in der Auswahl der Motive und der Perspektiven, die ein Höchstmaß an Individualismus und Neuerungswillen offenbaren. So ist das Kreuzwegfragment, das sich im Kobolzeller Tor befindet, nur von Thoma gezeichnet worden. In seiner Skizze der Stadtansicht nach Norden führt er ganz bewusst ein kompositorisches Ungleichgewicht zwischen Land und Stadt herbei und provoziert damit eine innerbildliche Spannung.

Alle Rothenburger Blätter datieren auf den 10. Juli 1885. Am nächsten Tag reiste der Künstler gen Schwäbisch-Hall. Die Datierungen zeigen den weiteren Verlauf der Reise über Hirschborn, Eberbach, Köln nach Deutz. Mit dem Rothenburger Skizzenbuch erschließt sich der Thoma-Forschung ein bisher unbekanntes Werk, das eindrucksvoll viele Vorgänge im Schaffensprozess des Künstlers zu beleuchten hilft.

Helmut Möhring

Abbildung: ©Reichsstadtmuseum Rothenburg

Hans Thoma
Rothenburger Skizzenbuch, 1885
27 meist beidseitig bezeichnete Blätter in Kohlezeichnung, teilweise koloriert
29 x 22,5cm
Reichsstadtmuseum Rothenburg