Salvator de Carlis, Büste Johannes Joachim Winckelmanns, frühes 19. Jahrhundert
Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek München
Das Porträt stellt Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) dar. Eine Inschrift auf der Rückseite nennt den Bildhauer Salvator de Carlis (1785–nach 1839) als ausführenden Künstler.
Es handelt sich um eine Büste aus Carrara-Marmor in Form einer Herme. Das Porträt zeigt den Gründungsheros der Klassischen Archäologie als reifen Mann in ruhiger Pose. Der Blick des Dargestellten ist frontal. Auf die Darstellung eines Gewandes wurde verzichtet. Der Kopf und Oberkörperausschnitt sind detailliert ausgeführt. Das kräftig gelockte Haupthaar und die geschwungenen, buschigen Augenbrauen vermitteln der Gestalt einen energischen Ausdruck. Die großen Augen sind weit geöffnet und lassen den Blick aufmerksam und konzentriert erscheinen. Die Stirn ist hoch und trägt horizontale Falten. Das Gesicht ist differenziert modelliert. Auch wenn die Wiedergabe der Haut kaum Alterszüge aufweist, verraten doch eine Warze über dem linken Mundwinkel und die leicht gebogene Nase, dass es sich nicht um ein Idealbildnis handelt. Unterhalb der Schlüsselbeine ist der Körper nicht mehr ausgeführt und geht fließend in den Pfeilerschaft über.
Winckelmann gilt bis heute als Begründer einer Geschichtsschreibung der antiken Kunst. Seine „Geschichte der Kunst des Altertums“ hat nicht nur die wissenschaftliche Forschung, sondern gerade auch den bayerischen Kronprinzen Ludwig stark beeinflusst und beim Aufbau seiner Skulpturensammlung geleitet. Ludwig trug Martin Wagner, seinem Kunstagenten in Rom, auf, sich um den Erwerb jener Werke besonders zu bemühen, die Winckelmann für bedeutend erachtet hatte. In Ludwigs Glyptothek wurde erstmalig in einem Museum die auf Winckelmann zurückgehende Konzeption verwirklicht, die Skulpturen gemäß ihrer stilgeschichtlichen Folge aufzustellen, nicht nach typologischen oder ikonographischen Gesichtspunkten.
Das 1808 im Auftrag Kronprinz Ludwigs geschaffene Porträt war ursprünglich für die Aufstellung in der Walhalla vorgesehen. Weil das Werk Salvator de Carlis‘ eher für eine nachsichtige Betrachtung geeignet erschien, gelangte es jedoch in die Glyptothek, wo das Bildnis 1830 im „Saal der Neuern“ aufgestellt wurde.
Dr. Florian Knauß