Schweizer Scheibenrisse, spätes 16./frühes 17. Jahrhundert

Staatliche Graphische Sammlung, München

Das Münchner Kabinett verwahrt als Sonderbestand über 300 Vorzeichnungen für Schweizer Glasgemälde, sogenannte Scheibenrisse. Schweizer Scheiben sind eine dezidiert eidgenössische Spezialität. Sie verdanken ihre Existenz einer standesüberschreitenden Solidaritätsleistung: der finanziellen Unterstützung durch Übernahme eines Fensters bei einem Neu- oder Umbau. Die Stifter gaben in öffentlichen und privaten Räumen als Zeichen ihrer Gunst Visitenkarten in Form farbig bemalter Glasgemälde in Auftrag.

Unabdingbare Vorlage für die Glasmaler waren von spezialisierten Vorlagenzeichnern gefertigte Scheibenrisse. München besitzt nach Karlsruhe und gemeinsam mit Berlin (Kunstbibliothek) in Deutschland den bedeutendsten Bestand an Schweizer Rissen des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts, darunter Meisterzeichnungen von Urs Graf, Jost Amman, Tobias Stimmer, Daniel Lindtmayer oder Christoph Murer. Der Kernbestand ist bereits 1803 nachweisbar und hat seinen Schwerpunkt auf dem Oberrhein. München verfügt mit dem Kupferstichkabinett Basel und London (V & A) über das wichtigste Konvolut an Basler Rissen der Spätrenaissance. Eine Überstellung aus dem Bayerischen Nationalmuseum 1921 erweiterte das Spektrum; Zürich und Bern etwa sind seither ebenfalls repräsentativ mit Rissen vertreten.

In Arbeit ist ein Catalogue raisonné. Die dringende Restaurierung der Risse, die auch Voraussetzung für die wissenschaftliche Bearbeitung ist, ermöglicht die Ernst von Siemens Kunststiftung. Fast alle Zeichnungen wurden in den 1920er Jahren auf Pappen ohne schützende Passepartoutvertiefungen montiert; sie liegen, sich gegenseitig abreibend, aufeinander. Sämtlich sind die damals verwendeten Unterlagen holz- und säurehaltig. Ein Ablösen von den korrumpierenden alten Trägern ist ebenso dringlich wie eine Neumontierung. Zudem ermöglicht die Abnahme erstmals eine Beurteilung der häufig mit weiteren Skizzen und Anweisungen für die Glasmaler versehenen Rückseiten sowie einen Katalog der Wasserzeichen.

Achim Riether

Abbildung:

Hans Brand (1552-1577/78), Scheibenriss mit unbekanntem Wappen. von vorhehmer Schildhalterin begleitet, im Oberlicht Rückkehr von der Arbeit und geselllige Runde im Wirtshaus, um 1576/77. Feder in Schwarz, braun laviert, 39 cm x 30.5 cm

© Staatliche Graphische Sammlung, München