Seitenflügel (Zierflügel) einer Orgel 1731
Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig
Im Jahre 1888 bekam Paul de Wit, der deutschlandweit bekannte Leipziger Sammler alter Musikinstrumente, ein ungewöhnliches Angebot: Die Stiftskirche zu Oehringen in Württemberg würde einer Renovierung und einer Umgestaltung unterzogen und die ausgediente barocke Orgel würde abgerissen und stünde zum Verkauf. Für die vollständige Orgel mit beachtlichen Maßen, deren Gestalt und Disposition aus Archivdokumenten bekannt ist, hatte de Wit keine Verwendung. Aber er entschied sich, die Schnitzarbeit mit Trompeten spielenden Engel zu erwerben, die sich in der Stiftkirche in Öhringen an der Orgel befand. Die Orgel war ein Werk des Orgelbauers Johann Christian Wigleben in Wilmersdorf bei Nürnberg, das er in den Jahren 1731 und 1732 erbaut hatte.
Das barocke Orgelgehäuse wurde im Jahre 1888 abgerissen, die noch brauchbaren Pfeifen und andere Teile der Orgel wurden verkauft. Alte, noch verwendungsfähige Teile einer Orgel anderswo zu verwerten, war eine seit Jahrhunderten übliche Praxis. Die geschnitzten Seitenflügel wurden von Paul de Wit noch im gleichen Jahr erworben und bei der ersten Gelegenheit auch ausgestellt. Ein außergewöhnlicher Anlass ergab sich im Jahr 1892 bei der Internationalen Ausstellung für Musik und Theaterwesen in Wien. Wahrscheinlich für dortige Präsentation wurde die Schnitzerei neu gefasst und bekam einen schlichten Überzug. Das Fachblatt Zeitschrift für Instrumentenbau berichtete hierüber: „Ein großer Theil dieser Schnitzereien stammt aus der alten Stiftskirche zu Oehringen in Württenberg, wo man vor Jahren die kunstvollen Rococo-Orgelprospecte durch solche in gothischem Style ersetzt hat.“
In den Weltkriegen und durch weitere Transporte kamen Beschädigungen hinzu, die aufwendige Restaurierung ließ sich nicht mehr aufschieben. In diesem Prozess wurden die Seitenflügel nicht nur stabilisiert, sondern es wurden in mühsamer Arbeit die alten Übermalungen der späteren Zeiten entfernt. Hierdurch kam eine wunderbare, farbige Lasurfassung zu Tage. Diese Technik verwendete man in der Barockzeit dazu, um eine Schnitzerei noch edler erscheinen zu lassen. Über einer Silberauflage wurden lichtdurchlässige grüne, rote und blaue Lasuren aufgetragen, die dem geschnitzten und durchbrochenen Blattwerk eine außergewöhnliche Lebendigkeit verleihen. Die Restaurierung dieses besonders qualitätvollen Schnitzwerkes wurde dankeswerterweise vom Bund und von der Ernst von Siemens Kunststiftung finanziert. Nach achtzig Jahren Schattendasein können die Schnitzereien nun im Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig bewundert werden.
Prof. Dr. Eszter Fontana
Abbildung:
Seitenflügel (Zierflügel) einer Orgel 1731, aus der Öhringer Stiftskirche (Württemberg). Fränkischer Schnitzer, 1731. Lindenholz, poychrom gefasst und vergoldet. L. 365 cm x B. 63,5 cm x H. 33,5 cm
© Museum für Musikinstrumente der Universität Leipzig