Selbstbildnis Lotte Lasersteins aus dem schwedischen Exil vor "Abend über Potsdam"

Stadtmuseum Potsdam, Forum für Kunst und Geschichte

Lotte Laserstein (1898–1993) zählt zu den bedeutendsten Malerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Als Künstlerin der Neuen Sachlichkeit hat sie dem Porträt und der gesellschaftlichen Stimmung der umkämpften Moderne auf höchstem malerischen Niveau Ausdruck verliehen. Sie gehört zu den großen Wiederentdeckungen der letzten Jahre. Durch die von den Nationalsozialisten erzwungene Emigration nach Schweden im Jahr 1937 war die deutsch-jüdische Künstlerin hierzulande lange Zeit in Vergessenheit geraten. Abgeschnitten von der internationalen Kunstszene fand ihr Werk kurz vor ihrem Lebensende 1987 durch die Londoner Galerien Thos. Agnew & Sons und The Belgrave Gallery erstmals öffentlich Anerkennung. Eine umfassende Retrospektive 2003 in Berlin, der Ankauf ihres Hauptwerks „Abend über Potsdam“ für Staatlichen Museen zu Berlin und die überaus erfolgreiche Ausstellung Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht des Frankfurter Städel Museums und der Berlinischen Galerie 2018/19 haben die Malerin inzwischen wieder einem breiten Publikum bekannt gemacht. Aus englischem Privatbesitz konnte von der Ernst von Siemens Kunststiftung Lasersteins „Selbstporträt vor ‚Abend über Potsdam‘“ für die Kunstsammlung des Potsdam Museums erworben werden. Die Künstlerin schuf es im schwedischen Exil 1950 rückbesinnend auf ihre Berliner und Potsdamer Zeit. Der Abend an einer langen Tafel auf einer Potsdamer Dachterrasse, vermutlich am westlichen Ende der Gregor-Mendel-Straße, ist vor dem Panorama des historischen Zentrums von Potsdam der Schauplatz ihres Hauptwerks und kennzeichnet die Orientierungslosigkeit am Beginn des aufziehenden Nationalsozialismus. Laserstein war dieses Werk im Kreis der Potsdamer Freunde so wichtig, dass sie es mit ins schwedische Exil nahm und über Jahrzehnte im eigenen Besitz behielt. Sie muss es selbst als Schüsselwerk ihrer Kunst wertgeschätzt haben. Die Reflektion auf den „Abend über Potsdam“ macht das Selbstporträt von Lotte Laserstein inhaltlich und kompositorisch überaus wertvoll. Zu sehen ist die knapp über 50-Jährige in ihrem Studio in Stockholm – statt des Ausblicks aus ihrem Atelier wählt sie den Rückblick auf ihr eigenes Schaffen und die Zeit des beginnenden politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Niedergangs. Die Komposition ihres Hauptwerks dominiert als Bildzitat das Selbstporträt. Beide erscheinen durch das Malen mit Hilfe eines Spiegels seitenverkehrt. Das Motiv gibt im Anschnitt den Blick auf die stehende blonde Frau im grünen Kleid sowie den dunkelhaarigen, an der Tafel sitzenden Mann frei, zu dessen Füßen der Hund am Boden kauert. Lotte Laserstein verarbeitet aber nicht nur ihren Gang ins Exil, sondern zieht zugleich Bilanz ihrer schwedischen Jahre und wählt den Rückgriff als Ausgangspunkt für ihr aktuelles künstlerisches Schaffen. Mit der Erwerbung kehrt ein bedeutendes Werk der einst aus Deutschland vertriebenen Künstlerin wieder an den Ort ihres künstlerischen und persönlichen Wirkungskreises zurück und wird einen Platz in der neuen Ständigen Ausstellung des Potsdam Museums erhalten.


Dr. Jutta Götzmann

Abbildung: Lotte Laserstein (1898–1993), Selbstporträt vor „Abend über Potsdam“ 1950, Öl auf Leinwand, 55 x 65 cm
© Stadtmusem Potsdam
Fotograf: Murdoch Lain