Spektakulärer Ankauf für Nürnberg - Lyonel Feiningers „Marine" (1919)
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Seestücke durchziehen das Œuvre Lyonel Feiningers von Beginn an. Bereits als Jugendlicher skizziert er Boote bei Hafenbesuchen in New York und ab 1892 liefern ihm unzählige Aufenthalte an der Ostsee ausgiebiges Anschauungsmaterial. Kunsthistorische Vorbilder findet er zudem in den niederländischen Marinen des 17. Jahrhunderts sowie in den Gemälden der Romantiker und der französischen Pointilisten. Schiffe faszinieren ihn so sehr, dass er marinehistorische Literatur sammelt und mit kindlicher Begeisterung immer wieder seetüchtige Modelle baut.
Das Jahr 1919 ist für Feininger ein Höhepunkt: Er wird von Walter Gropius als Meister an das Staatliche Bauhaus in Weimar berufen und kann nun endgültig als etabliert gelten. Im gleichen Jahr malt er mit Marine ein sehr modernes Seestück. Formal in der Auseinandersetzung mit dem Kubismus entstanden, zeigt es in dem für ihn typischen prismatischen Aufbau drei unterschiedliche Schiffe, die das Meer durchkreuzen. Die gebrochenen geometrischen Formen überziehen das Gemälde wie ein flirrender Schleier. Sie verbinden die Landschaft aus Strand mit Mole, Meer mit den drei Schiffen sowie dem Wolkenhimmel zu einem atmosphärischen Ganzen. Schlepper, Bark und Fischkutter sind nicht als individuelle Schiffsporträts, sondern in ihrem allgemeinen „Charakter“ erfasst, was auch ihre unterschiedlichen dynamischen Eigenschaften auf dem Wasser unterstreicht.
1921 verkauft Feininger Marine an seinen Förderer Walter Kaesbach, damals Direktor des Angermuseums in Erfurt. Anders als im Falle der meisten Werke aus seiner Privatsammlung, schenkt Kaesbach das Bild nicht seiner Heimatstadt Mönchengladbach oder stellt es als Leihgabe für Ausstellungen zur Verfügung. Stattdessen bleibt es mehr als 30 Jahre bei ihm, um dann an eine Privatsammlerin verkauft zu werden. 2008 schließlich gelangt Marine, bis dahin nur als Nr. 196 und ohne Abbildung in Hans Hess‘ Werkverzeichnis (1959) belegt, durch eine Auktion an die Öffentlichkeit. Über den neuen Besitzer kommt es 2020 als Leihgabe ans Germanische Nationalmuseum. Hier nun ist es Zeugnis für Feiningers moderne Form der Marinemalerei sowie auch erstes und einziges Gemälde aus seiner Hand im Bestand des Hauses.
Dr. Tilo Grabach
Abbildung
Lyonel Feininger, Marine (Fischer), 1919 ©Germanisches Nationalmuseum Nürnberg | Georg Janßen