Taufkirchener Madonna
Kreisheimatmuseum Mühlheim am Inn
Die Muttergottes aus Taufkirchen, Landkreis Mühldorf, gehört zu den eindrucksvollsten Werken des Meisters von Seeon. In der großzügigen, spannungsreichen Figurenanlage dominiert die energische, asymmetrische Verschiebung des Oberkörpers Marias, zu der die Rücklage des Jesuskindes ein Gegengewicht bildet. Die Parallelität und der Gleichklang der Gesichter stellen jedoch die Verbindung und Harmonie wieder her. Der Sitz des Christkindes war ursprünglich geringfügig anders, da es im Zusammenhang mit einer textilen Bekleidung der Figur in der Barockzeit abgenommen und wieder angesetzt wurde.
Die festgefügte Farbenkomposition wird bestimmt durch die vom rechten Knie ausstrahlende Dreieckskaskade, durch die zwischen den heraustretenden Knien durchhängenden Faltenschüsseln und die straffe Diagonale des über den Kopf gezogenen Mantels. Im Kontrast zur Festigkeit des Aufbaus der Figur steht das ungemein zarte, glatte Oval des Gesichtes der Gottesmutter, deren weltvergessener, weltentrückter Blick in innere Welten gerichtet zu sein scheint.
Der stilistische Unterschied zur bekannten Mutter Gottes von Seeon - nach der der mittelalterliche Künstler benannt wurde - ist chronologisch zu erklären. Die Seeonerin entstand im Zusammenhang mit den 1433 abgeschlossenen Umgestaltungsarbeiten der Klosterkirche Seeon. Für die Taufkirchener Madonna bedeutet dies eine Datierung noch vor 1430.
Die Frage nach dem Namen des Meisters und dem Sitz seiner Werkstatt läßt sich zwar noch nicht definitiv beantworten. Die Tatsache, daß sich eine Reihe seiner Werke im engen Umkreis vom damals salzburgischen Mühldorf befindet, macht wahrscheinlich, daß er dort zumindest eine Zeitlang tätig war. Immerhin ist für Mühldorf ein Bildhauer überliefert, der 1446 in Salzburg eingebürgert wurde. Er ist allem Anschein nach identisch mit dem Bildhauer Hans Paldauf, der später nach Passau übersiedelte, wo er erstmals 1459 faßbar ist.
Der Meister gehört zu jener Generation von Künstlern, die aus dem internationalen weichen Stil herauswachsen und eine unverkennbar eigene persönliche Handschrift entwickelten. Er ist damit vergleichbar mit dem Wiener J. Kaschauer und dem Ulmer H. Multscher.
Albrecht Miller
Meister von Seeon
Taufkirchener Madonna um 1425
Lindenholz, Teile der originalen Fassung, Szepter teilweise ergänzt; H. 94,5, B. 55, T. 32,5 cm
Abbildung: ©Kreisheimatmuseum Mühlheim am Inn