Teilstück eines Festbehangs
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Die Tapisserie ist nach heutiger Kenntnis der einzige erhaltene Überrest einer insgesamt vierteiligen großformatigen Teppichfolge, die von der Nürnberger Handelsfamilie Starck zu Beginn des 16. Jahrhunderts in einem der südniederländischen Wirkereizentren in Auftrag gegeben wurde. Den Kirchenbüchern von St. Sebald ist zu entnehmen, dass die Teppiche ehemals an Festtagen im Chor aufgehängt wurden.
Das Fragment ist die linke untere Partie eines Festbehangs, der die Kreuzigung Christi darstellte. Auf das nicht mehr vorhandene Kruzifix verweist König David. Er begleitet und präfiguriert die neutestamentarische Szene. Ebenfalls auf den Kreuzestod Christi bezieht sich das Schriftband – ursprünglich zu Füßen, bei einer älteren Restaurierung über dem Haupt Davids eingefügt - das aus dem 22. Psalm zitiert: Foderunt. Manus. meas/et.pedes. meos (dt.: Sie durchbohrten meine Hände und Füße). Die Personengruppe rechts zeigt die unter dem Kreuz Trauernden um Maria und Johannes, in der oberen Ecke die stark angeschnittene Gestalt des berittenen Longinus. Die ursprünglich bei dem Fragment nur noch unten und am linken Rand in doppelter Breite verlaufene Blumenbordüre wurde gleichfalls bei der früheren Restaurierung längsgeteilt, um dem Fragment eine Rahmung zu geben.
Bildteppiche, die an Festtagen im Kirchenraum aufgehängt wurden, gehören seit dem Mittelalter zu einer reichen, mit den Stationen des Kirchenjahres wechselnden textilen Ausstattung der Gotteshäuser. Von Gläubigen gestiftet, waren sie Zeugnisse individueller Frömmigkeit und Heilsvergewisserung. Sie stellten zugleich den sozialen Rang der Auftraggeber zur Schau. Für die Fertigstellung wandten sich die wohlhabenden Stifter um 1500 vermehrt an die südniederländischen Tapisseriezentren, deren Erzeugnisse die fränkischen Bildteppiche sowohl in der bildhaften Komposition als auch in ihrer Ausführung mit feinsten Materialien und täuschenden Oberflächeneffekten übertrafen.
Jutta Zander-Seidel
Abbildung: Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Fragment eines Chorbehanges aus St. Sebald mit Kreuzigungsgruppe, um 1500/1510
2,54 m hoch x 2,02 m breit
Wolle | Schuss: Wolle, Seide, Metallfaden, am linken und am unteren Rand Originalbordüre
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg