Thronende Madonna mit Kind um 1390 / 1400

Bayerisches Nationalmuseum, München

Die thronende Muttergottes zählt zu den wichtigsten Zeugnissen für die hohe Blüte der Salzburger Kunst um 1400. 1910 hatte sie der bekannte Innsbrucker Kunsthändler und Sammler Andreas Colli an den Münchner Hofantiquar Böhler verkauft. 1981 stellten dessen Nachfahren sie dem Bayerischen Nationalmuseum als Dauerleihgabe zur Verfügung. 2012 nun gelang es, ihre öffentliche Präsentation in einem der prominentesten Säle des Museum dauerhaft zu sichern.

Darstellungen der Maria mit Kind, sonst meist ein Hauptanliegen der christlichen Kunst, treten um 1400 in der zentraleuropäischen Steinskulptur zugunsten von Ansichten des toten Christus im Schoß seiner Mutter zurück. Zu den bedeutendsten Vertretern dieser Vesperbilder gehört die in unmittelbarer Nachbarschaft zur Madonna ausgestellte Pietà aus Kloster Seeon. Hingegen ist nur eine steinerne Madonna von vergleichbarem Rang bekannt, eine vor wenigen Jahren für die Berliner Skulpturensammlung erworbene Skulptur, bei der allerdings das Kind komplett abgearbeitet worden ist. Ist das Haupt der Gottesmutter dort der Tradition gemäß von einem Schleier bedeckt, so verleiht ihr das offene Haar bei dem Werk aus dem Böhler-Besitz eine ungewöhnlich mädchenhafte Wirkung.

Salzburg trat seinerzeit in direkte Konkurrenz mit dem wichtigsten mitteleuropäischen Zentrum der Bildhauerkunst jener Zeit – Prag, Sitz des Kaisers und Hauptwirkungsstätte der Parler-Familie. Konnte man dort – wie bei besagtem Vesperbild auf den für Bildhauerarbeiten besonders geeigneten Pläner Kalk zurückgreifen, so fehlten im Salzburger Raum entsprechende Natursteine. Die Salzburger Künstler spezialisierten sich daher auf die Arbeit mit Blöcken aus gegossenem Stein, aus denen nach dem Guss die gewünschte Form herausgemeißelt wurde. Nur selten erreichen diese Arbeiten dabei eine solche Qualität, wie man sie bei der jüngst erworbenen Madonna beobachtet. Ein in Kooperation mit der Technischen Universität München angestoßenes Projekt bemüht sich derzeit, die Zusammensetzung des verwendeten Werkstoffs näher zu bestimmen.

Die Bedeutung des Stückes ist in der Literatur seit langem bekannt; im Standardwerk „Geschichte der Bildenden Kunst in Österreich“ wurde sie erst jüngst noch einmal von Lothar Schultes hervorgehoben. Er datiert die Madonna noch in das ausgehende 14. Jahrhundert, während andere Autoren, wohl zu Unrecht, auch eine Entstehung erst um 1420 in Erwägung zogen. Über die ursprüngliche Herkunft des Bildwerks fehlen verlässliche Angaben. Genannt wurden das untere Inntal und Tirol, aber auch die Gegend um Seckau in der Steiermark.

Dr. Matthias Weniger

Abbildung:

Thronende Madonna mit Kind, um 1390 / 1400, unbekannter Meister, Salzburg. Gussstein, H. 72 cm x L. 41,5 cm x B. 39 cm

© Bayerisches Nationalmuseum, München