Verschollener Turmriss aus der Spätgotik kehrt zurück, 1495

Architekturmuseum der TUM

Schon für die Öffentlichkeit verloren schien der spätgotische Bauriss, der nun mit Hilfe der Ernst von Siemens Kunststiftung aus dem Kunsthandel zurückgekauft werden konnte. Auf zwei durch einen Klebepfalz miteinander verbundenen Pergamentbögen zeigt er einen noch nicht eindeutig lokalisierten Entwurf für einen Kirchturm, bestehend aus einem zweigeschossigen quadratischen Unterbau, einem quadratischen Zwischengeschoss, einem Oktogongeschoss und einem Maßwerkhelm. Von der Forschung wird der Straßburger Baumeister Hans von Baden als Zeichner genannt. Die Datierung weist in das letzte Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts. Der Zeichner benutzte Zirkel und Lineal für die großen Architekturformen, alle Detail- und Dekorationsformen wie Krabben, Kreuzblumen, Wirtel und Konsolen sind dagegen freihändig ausgeführt. Die ohne Lineal gezeichneten Formen sind zum Teil etwas ungenau. Schrägen wurden zum Teil gepunktet, Kehlen mit Kreuzschraffur hervorgehoben oder geschwärzt. Die Säulen für die Figurenkonsolen sind in Blindrillen angelegt, aber nicht ausgeführt.

Der Turmriss war 1815 im Besitz des Karlsruher Galeriedirektors Philipp Jakob Becker und ging nach dessen Tod 1829 in die Sammlung des Memminger Gerichtsassessors Friedrich Hoffstadt über. 1848 erwarb ihn die Akademie der Bildenden Künste in München für die Architektenausbildung. 1904 wurde die Zeichnung des Turms an die Plansammlung der Technischen Hochschule München abgegeben, wo sie noch 1924 beschrieben wurde. Nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs war der Turmriss verschollen. 2012 tauchte er erstmals wieder im Stuttgarter Kunsthandel auf. Noch vor der Versteigerung wurde das Blatt jedoch vom Einlieferer zurückgezogen und verschwand erneut bis es nun 2022 im Freiburger Kunsthandel angeboten wurde. Die Identifizierung dieses einzigartigen Blattes mit dem aus der Münchner Architektursammlung verschwundenen Riss ist aufgrund der übereinstimmenden Größe sowie eines historischen Fotos zweifelsfrei.

Prof. Johann Josef Böker und Dr. Anja Schmidt

Abbildung: