Werkgruppe des Meisters der Biberacher Sippe, Anna Selbdritt, 1520
Bayerischen Nationalmuseum, München
Die in der Bibel nicht erwähnte hl. Anna erfreute sich im Spätmittelalter großer Beliebtheit. Dargestellt wurde sie meist in Gemeinschaft mit ihrer oft noch kindliche Züge tragenden Tochter Maria und ihrem Enkel Jesus (= „Anna Selbdritt“) oder aber im noch umfangreicheren Familienverband (= „Heilige Sippe“).
Bei der „Anna Selbdritt“ steht, anders als bei der „Marienkrönung“ (vgl. S. xxx), nicht die Kühnheit der Konzeption und die tiefe Durchdringung des Werkblocks im Vordergrund, sondern die äußerste Sensibilität in der Behandlung der Oberflächen. So ist nicht nur das Gesicht der hl. Anna als das einer älteren Frau, sondern auch das Anlitz des Christuskindes durch kleine Eintiefungen belebt und nuanciert. Die Haare sind hingegen bei der „Marienkrönung“ noch feiner ausgearbeitet.
Ein wichtiges Motiv ist, gleich der „Marienkrönung“, das Spiel der kleinen Engel mit den Gewändern der Heiligen. Wieder greift einer von ihnen unter den Stoff, ein anderer überdeckt mit dem Manteltuch seine Nacktheit. Das sich eng um die Schultern der Maria legende Gewandstück mit den fein geschnitzten Säumen und die geschlitzten Ärmel des rechten Engels sind der zeitgenössischen Mode entlehnt. Der symbolische Gehalt der Engel erschließt sich ähnlich wie bei den von Maria auf einem Teller dargereichten Früchten dagegen erst auf den zweiten Blick. All diese Motive unterstreichen, dass es sich hier um ein Werk aus der letzten Phase der Spätgotik handelt, die nun auch in Deutschland schon ganz vom Geist der Renaissance überlagert wird.
Die „Anna Selbdritt“ ist mehrfach kopiert und paraphrasiert worden, am deutlichsten in einer „Anna Selbdritt“ in Stuttgart (MUSEUM xxx). Insbesondere das von der Vorahnung der Passion Christi gezeichnete Gesicht der hl. Anna fand vielfache Nachahmung. Die Subtilität der Behandlung der Oberflächen lässt wie bei der „Marienkrönung“ Zweifel aufkommen, ob die Bildwerke für eine Fassung bestimmt waren. Dagegen spricht auch, dass die Münder hier und in der „Heiligen Sippe“ in der Lorenzkapelle, Rottweil, farbig eingetönt sind. Entgegen der verbreiteten Praxis wurde von einer Aushöhlung des Werkblocks abgesehen. Wie bei der Rochus-Skulptur in New York (Metroplitan Museum, Cloisters, New York) ist die Rückseite komplett ausgearbeitet, aber sehr flach gehalten.
Matthias Weniger
Abbildung: