Werkgruppe des Meisters der Biberacher Sippe, Maria aus einer Marienkrönung, 1520
Bayerischen Nationalmuseum, München
Durch ihre schnitztechnische Virtuosität markiert die unter dem Namen „Meister der Biberacher Sippe“ bekannte Werkgruppe einen Höhepunkt innerhalb der Entwicklung der spätgotischen Skulptur in Süddeutschland. Obwohl manches auf eine Identifizierung mit dem Biberacher Künstler Michael Zeynsler hindeutet, hat sich dieser Vorschlag bislang nicht durchsetzen können. Im Zentrum der anonymen Werkstatt stehen die beiden Figurengruppen aus der Sammlung Bollert (vgl. die vorangehende Seite), die an Qualität die Namen gebende Biberacher Heilige Sippe (ehemals Stadtpfarrkirche Biberach, heute Lorenzkapelle von Rottweil) deutlich übertreffen. Um diese Kerngruppe, die nur zwei weitere Stücke – einen Rochus (Metropolitan Museum, Cloisters, New York) und ein Fragment einer Stiftergruppe (Städtisches Museum, Düsseldorf) umfasst – reiht sich eine große Zahl von Kopien und Nachahmungen.
Die vollständige Komposition der Marienkrönung ist durch eine Kopie in einem Bildstock in Iggenau bei Biberach überliefert. Demnach sind links und rechts hinter Maria die thronenden Gestalten von Christus und Gottvater zu ergänzen. Die Kopie entstand vielleicht erst, als man das Original von seinem alten Ort entfernte; jedenfalls sollen auch die Maria und ein 15 cm hohes Fragment mit der Büste Gottvaters aus der Sammlung Schuster – seit 1938 verschollen, gehörte nach G. Schuster und Th. Müller zur Bollert-Gruppe – aus Iggenau stammen. Am Original ergänzte oder veränderte Details werden bei der Kopie offensichtlich noch im ursprünglichen Zustand gezeigt.
Konzeptionell nimmt die Maria innerhalb der kleinen Werkgruppe eine Sonderrolle ein. Dank der senkrecht herabfließenden Gewandbahnen ist die gesamte Komposition aus nur einer Grundform, dem gleichseitigen Dreieck, entwickelt. Die Gruppe ist stärker als die anderen Arbeiten der Werkstatt auf eine Ansicht berechnet, gleichzeitig aber ungewöhnlich tief ausgearbeitet. Der einem Holzschnitt Cranachs entlehnte mittlere Putto kann sich unter den Mantelbahnen regelrecht verstecken.
Das Werkstück ist aus zwei miteinander verleimten Holzblöcken zusammengesetzt. Ihre Kerne liegen jeweils seitlich der Maria und somit in Bereichen, in denen besonders viel Masse entfernt wurde, um die Spannungen im Holz zu reduzieren. Das Gesicht ist als separates Stück aufgesetzt, um einer Öffnung der Fuge zuvorzukommen: Form und kluger Umgang mit dem Material fallen zusammen.
Matthias Weniger
Abbildung: