Wilhelm Lehmbruck, Drei Zeichnungen, 1913/1918

Staatsgalerie Stuttgart

Mit flüchtigen Strichen umreißt Wilhelm Lehmbruck die sitzende weibliche Figur mit gesenktem Kopf. Das sich wiederholende Thema der Pietà ist in Zusammenhang mit seiner Arbeit als Sanitäter im Zweiten Weltkrieg und seinen Eindrücken im Lazarett zu sehen.

Diese Pinselzeichnung steht in Verbindung zu Wilhelm Lehmbrucks Plastik Emporsteigender Jüngling, die sich ebenfalls im Bestand der Staatsgalerie befindet. Seit Ende des 19. Jahrhunderts stießen Friedrich Nietzsches Schriften in Kunstkreisen, besonders bei den Expressionisten, auf Interesse. In diesem Kontext wird von der Forschung der Emporsteigende
Jüngling von Lehmbruck mit Nietzsches »Also sprach Zarathustra« in Verbindung gebracht, vor allem zu Zarathustras Rede »Vom Baum am Berge«: »Zarathustra fasste den Baum an, bei welchem der Jüngling sass, und sprach also: … Aber es ist mit dem Menschen wie mit dem Baume. Je mehr er hinauf in die Höhe und Helle will, um so s tärker streben seien  Wurzeln erdwärts, abwärts, in’s Dunkle, … In die freie Höhe willst du, nach Sternen dürstet deine Seele.« Die Wertschätzung, die Wilhelm Lehmbruck seinen Arbeiten auf Papier zukommen ließ, wird auch von der Tatsache untermauert, dass er seine oftmals flüchtigen, skizzenhaften Zeichnungen, wie auch dieses Blatt, signierte.

Zu keiner Plastik hat Wilhelm Lehmbruck so viele Zeichnungen und Graphiken als Beiwerke geschaffen wie zu Der Gestürzte, der sich ebenfalls im Bestand der Staatsgalerie befindet. Die Papierarbeiten zeigen den männlichen Akt variierend aus unterschiedlichen Perspektiven – schräg von vorne, von oben oder von einer Seite; dabei handelt es sich weitestgehend auch um die Hauptansichten der Plastik. Das Motiv des verzweifelten, gescheiterten, gefallenen am Boden liegenden oder stürzenden Menschen beschäftigte Lehmbruck zeitlebens – eine Erklärung dafür ist sicherlich auch in seiner Biographie zu finden. Die zusammengebrochene Hoffnung im Todeskampf des ausgemergelten Körpers erschüttert ebenso wie die Zeilen aus einem Gedicht des Künstlers von 1918: »Der Glaube, Liebe, alles hin, Und Tod, er liegt auf allen Wegen auf jeder Blüte. O Fluch o tausendfacher Fluch! Habt ihr, die soviel Tod bereitet, Habt ihr nicht auch den Tod Für Mich?« Lehmbruck schied 1919 freiwillig aus dem Leben.

Dr. Nathalie Frensch

Abbildungen:
1 Studie zur Pietà, 1917/18, Kreide, 39 × 29,4 cm, Inv.-Nr. C 2017/GL 4111
2 Emporsteigender Mann, 1913, Pinsel, Sepia, 31,4 × 24,5 cm, Inv.-Nr. C 2017/GL 4112
3 Skizze zum Gestürzten, 1916, Kohle, 47,8 × 66 cm, Inv.-Nr. C 2017/GL 4113
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